Pierre Charbonnier: Überfluss und Freiheit

Pierre Charbonnier entwirft in »Überfluss und Freiheit« die erste philosophische Ideengeschichte zum Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Die ökologische Krise der Gegenwart sieht er als Chance, sozial und politisch umzudenken und als Gesellschaft neue Wege zu gehen. Dabei setzt Charbonnier auf eine radikal andere Politik, die nicht notwendig mit Verzicht verbunden ist. Ihm geht es um eine ökologische Ideen­geschichte, die schon lange vor der Geschichte des Umwelt­bewusstseins beginnt. Dazu unternimmt er einen spannenden Gang durch die Denk­landschaften der letzten fast 400 Jahre: von Hugo Grotius und John Locke über Adam Smith, Alexis de Tocqueville, Pierre-Joseph Proudhon, Karl Marx und Émile Durkheim bis zu Thorstein Veblen und Karl Polanyi. Und zeitg damit: Die Erde wird seit dem 17. Jahrhundert als unerschöpfliche Quelle von Wohlstand und Wachstum gesehen. Alle seither entwickelten politischen Ideen beruhen darauf, vor allem die zentralen Begriffe von Freiheit und Gleichheit, von Autonomie und von Wachstum bzw. Überfluss. Doch das ist eine fatale Sicht auf das Verhältnis von Mensch und Natur.

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Archäologische Stätte Xiol

Die bei einem Bau für einen Industriepark in der Nähe von Merida, Yucatan, entdeckte Maya-Stadt Xiol, was so viel bedeutet wie „Geist des Menschen“, weist große Fortschritte beim Wiederaufbau auf. Nach achtmonatigen Ausgrabungen und Eingriffen sind bereits einige Paläste im Puuc-Stil und ein Zeremonialplatz zu sehen.

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Bücher sind Waffen, sowohl zum Angriff als auch zur Verteidigung

Weil Bücher eine Waffe sowohl zum Angriff als auch zur Verteidigung sind, sollen mehr als 100 Millionen russische Exemplare, darunter einige Klassiker der Weltliteratur, aus den öffentlichen Bibliotheken der Ukraine entfernt werden, kündigte Oleksandra Koval, Leiterin des ukrainischen Buchinstituts, einer Einrichtung, die dem ukrainischen Kulturministerium untersteht, gestern in einem Interview an. Sie erläuterte, wie wichtig es sei, vor allem und noch vor Ende des Jahres „Propagandaliteratur“ (mit anti-ukrainischem Inhalt), aber auch „klassische“ Exemplare der Weltliteratur zu beseitigen, da ihr Inhalt „ideologisch schädlich“ sei und aus der Sowjetzeit stamme. Puschkin, Dostojewski und Tolstoj gehören zu den Autoren, deren Werke von den ukrainischen Behörden aus ukrainischen Bibliotheken beschlagnahmt werden sollen. Dies soll in mehreren Schritten durchgeführt werden. In einer ersten Phase werden Bücher mit anti-ukrainischem Inhalt beschlagnahmt, mit imperialen Erzählungen und Propaganda von Gewalt, pro-russischer chauvinistischer Politik, während in der zweiten Phase Texte zeitgenössischer russischer Autoren beschlagnahmt werden sollen, die nach 1991 in Russland veröffentlicht wurden und verschiedenen Genres angehören, einschließlich Kinderbüchern, Liebesromanen und Krimis. Was die klassische Literatur anbelangt, gebe es viele Gegner, die Puschkin, Dostojewski oder Tolstoi, dessen bekanntestes Buch der Antikriegsroman Krieg und Frieden ist, als heilige Autoren, die man nicht anfassen darf betrachten; dennoch gäbe es keine Argumente, warum dies nicht möglich sei.

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Rassistisches Erbe

Der Dudenverlag, also jener Verlag, der das maßgebliche deutsche Wörterbuch herausgibt, hat jetzt ein neues Buch von Susan Arndt, Literaturwissenschaftlerin und Rassismusforscherin an der Universität Bayreuth, herausgegeben. Unter dem Titel Rassistisches Erbe: Wie wir mit der kolonialen Vergangenheit unserer Sprache umgehen, versucht Arndt aufzuzeigen, wie die Geschichte unsere Sprache noch immer rassistisch prägt und nutzt dafür aufschlussreiche Wortanalysen zu Problemfällen und neuen Alternativen, um eine Orientierung bei der sprachlichen Aufarbeitung von Rassismus zu geben. In der Ankündigung zu dem Buch ist zu lesen: ”Bei der aufgeheizten politischen Debatte um sprachliche Grenzen und diskriminierende Wortverwendungen, stellt sich die Frage, welche Wörter man benutzen darf. Wo liegen beispielsweise die Unterschiede zwischen »Farbiger« und »Person of Color«? Dieses Buch erläutert, wieso das N-Wort aus der Sprache verschwindet und hinterfragt kritisch, welche vergangenen Denkmuster in Wörtern wie »Naturvolk«, »Eingeborene« und »Tropenmedizin« stecken. Die Kulturwissenschaftlerin Susan Arndt setzt sich entlang konkreter Beispiele mit dem kolonialen Erbe in unserer Sprache auseinander. Darüber hinaus diskutiert sie die Zusammenhänge zwischen Sprache und Macht. Sie zeigt, welche Möglichkeiten wir haben, mit der kolonialen Vergangenheit in unserer Sprache umzugehen und wie neuere Begriffsverwendungen, wie »Indigene Menschen« oder »weiß«, Alternativen bieten.“

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Aus globalen Krisen lernen

Im Zeitmagazin (Nr. 19 vom 05.05.2022) findet sich ein Interview mit Andrew Gowers über seine Lehren aus globalen Desastern. Mehrmals in seiner Karriere hat er es erlebt, wenn in großen Konzernen plötzlich alles zusammenbricht. Als Kommunikationschef bei Lehman Brothers war er nah an der „größten Finanzkatastrophe aller Zeiten“ (S. 28) dran; nach der Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko machte er beim BP-Konzern „die größte Umweltkatastrophe der modernen Welt“ (S. 28) mit; für ihn ist Rupert Murdoch, der australische Medienmogul, „für eine Menge Mist verantwortlich“ (S. 29), da er mit dafür gesorgt hat, „dass der Zustand unserer Demokratie weniger gesund ist als vorher“ (S. 29). Und auch Angela Merkel „handelte [in ihrer gesamten Amtszeit] wie eine Agentin der deutschen Wirtschaft […], getrieben von wirtschaftlichen Interessen“ (S. 29).

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Frazadas del Estadio Nacional

Frazadas del Estadio Nacional (2003) von Jorge Montealegre wurde drei Jahrzehnte nach der politischen Inhaftierung seines Autors im Rahmen der zahlreichen Initiativen veröffentlicht, die in Chile zum 30. Jahrestag des Militärputsches durchgeführt wurden. Montealegre wurde am 28. September 1973 in seinem Haus verhaftet und in das Nationalstadion der Hauptstadt gebracht, wo er bis zum 9. November festgehalten wurde, als er zusammen mit mehreren hundert anderen Gefangenen nach Chacabuco verlegt wurde, einer alten verlassenen Salpeterfabrik im Norden des Landes, die zu einem Konzentrationslager umfunktioniert wurde. Dort blieb er bis Juli 1974, als er aus dem Land ausgewiesen wurde und bis 1979 im Exil lebte.

Die Geschichte beginnt mit einer Art Bitte an das „Diktat der Erinnerung“, um einen Blick auf das Ich, das nicht mehr existiert, werfen zu können, wobei sich der Erzähler zunächst im Dunkeln befindet, kniend unter einer Decke, ohne Bilder, in einem gebrochenen Dialog mit dem jungen Mann, der er damals war, und den er bittet, ihn nicht allein zu lassen, damit er als alter Mann das schreiben kann, was einem Heranwachsenden passiert ist. Die Decke, die seinen Kopf bedeckt, erhält der Gefangene einige Tage nach seiner Ankunft in der Haftanstalt.

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Feria Internacional del Libro de La Habana (FILH)

Die Ausgabe 2022 der Internationalen Buchmesse von Havanna (FILH), Kuba, wurde gestern unter Teilnahme von Mexiko als Ehrengast eröffnet. Dazu wurde in der Casa Benemérito de Las Américas Benito Juárez in der kubanischen Hauptstadt die Ausstellung Welcome to Paradise des mexikanischen Fotografen Oswaldo Ruiz eingeweiht. Diese Ausstellung erkundet Städte in Ländern wie Chile, Mexiko, der Dominikanischen Republik und Kolumbien, um die Archetypen, die ihnen innewohnen, und die Vorstellungen, die sie verbinden, zu entschlüsseln.

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Jamie Raskin: Unthinkable

Jamie Raskin ist ein Verfassungsrechtler, ein demokratischer Kongressabgeordneter (Maryland), ein guter Schriftsteller und ein liebevoller Vater. Am 31. Dezember 2020 nahm sich sein brillanter und charismatischer 25-jähriger Sohn Tommy das Leben. Sechs Tage später überfiel ein bösartiger Mob Raskins Arbeitsplatz, das Kapitol in Washington D.C., die Wiege der Demokratie, was mehrere Tote forderte und 140 Polizisten verletzte. Raskin erlitt einen heftigen und umfassenden Schock in seinen Grundfesten. Noch nie fühlte er sich gleichsam so weit entfernt von dem zunehmend unerkennbaren Ort namens Leben und dem plötzlich vertrauten und sich ausweitenden Zuständigkeitsbereich namens Tod. Anstatt aber der unermesslichen Trauer über den Tod seines Sohnes zu erliegen, ergriff Raskin einen Rettungsanker, den ihm die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, zuwarf, und erklärte sich bereit, die Bemühungen um ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump zu leiten, weil dieser den Aufruhr angezettelt hatte, der den friedlichen Machtwechsel zum Entgleisen hätte bringen können.

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Seelenvermächtnis

Die Albträume, die Udo Wieczorek in der frühen Kindheit plagen, erzählen von hohen Bergen und Krieg. Er verdrängt sie, bis sie ihn Jahre später wieder einholen. Er geht auf Spurensuche, findet in Südtirol ein vertrautes Tal und wandert auf alten Pfaden. Déjà-vus und schrecklich real anmutende Träume leiten ihn 1997 schließlich zu einem Fund auf einem ehemaligen Schlachtfeld. Er findet, wovon er nachts zuvor geträumt hatte: die Botschaft eines sterbenden Soldaten aus dem Jahr 1915.

An diesem Buch scheiden sich die Geister. Zu fantastisch, zu paranormal erscheint das Ganze vielen. Dennoch setht fest, dass Udo Wieczorek in »Seelenvermächtnis« seine Erlebnisse und Träume sowie seine Nachforschungen eindrücklich und spannend schildert. „Alles, was mit uns geschieht, folgt einer unfassbaren göttlichen Fügung. Und alles, was uns als endlich erscheint, beschreibt in sich einen unerschöpflichen Gral des dimensionslosen Fortgangs.“

La ciudad de los poemas

Die Poesie in und über Mexiko-Stadt, die so unermesslich ist wie die Stadt selbst, passt nicht mehr in eine Anthologie wie in der Vergangenheit. Jeden Tag gibt es jemanden, der die Stadt lobt, jemanden, der über sie weint, jemanden, der sie hasst. Sie zerstört sich selbst mit einer Leidenschaft, die aussieht wie Enthusiasmus und vielleicht nur Wahnsinn ist. Claudia Kerik hat es sich dennoch zur Aufgabe gemacht, das zu sammeln und zu erfassen, was die in ihr geborenen und die Dichter, die sie zu ihrer Wahlheimat erklärt haben, im langen 20. Jahrhundert gesungen, beklagt, geflüstert oder verwünscht haben, welches diskret zwei Jahrzehnte ins 19. und zwei weitere, stürmische und gefräßige, ins 21. Jahrhundert hineinreicht. La ciudad de los poemas: Muestrario poético de la Ciudad de México moderna versucht das Unmögliche und präsentiert sich als ein monumentales, fast brutales, unwiederholbares Mosaik dessen, was die Stadt, einst Tenochtitlan, die Dichter in einem stets modernen und sich entwickelnden Spanisch sagen ließ.

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