
Das Buch Zona ciega von Lina Meruane beleuchtet den Ausbruch der Gewalt im Oktober 2019 in Chile aus literarischer und analytischer Sicht und spielt auf die Menschen an, die bei den Protesten ihr Augenlicht oder einen Teil davon verloren haben. „Eines Morgens Mitte Oktober öffneten sich meine trockenen Augen vor einem kleinen Bildschirm voller riesiger Schlagzeilen und Nachrichten mit Ausrufen aus verschiedenen Städten der Welt, in denen gefragt wurde, was in Chile passierte… Das Land war explodiert, das Zentrum von Santiago war zum Ground Zero geworden“, schreibt sie.
„Die Augen öffnen. Sie öffnen und schauen, wie wir noch nie zuvor geschaut haben.“
Es handelt sich bei diesem Buch um eine Meditation, die politische Chronik, Literaturkritik und biografische Erzählung miteinander verbindet, um eine erstaunliche Anzahl von Geschichten rund um das Auge zu verweben.
„Matar el ojo“ (dt. etwa „Das Auge töten“) eröffnet das Buch mit den Unruhen in Chile und zeigt die expliziten und impliziten Botschaften der „sichtbaren“ Strategie der Polizei auf, die Bürger in verschiedenen zeitgenössischen Demokratien zu blenden. „Ojos prestados“ (dt. etwa „Geliehene Augen“) kehrt zu der Episode der Blindheit zurück, welche die Autorin erlebt hat, um zu analysieren, wie der Verlust des Augenlichts unter anderem in den Werken von Milton, Wordsworth, Joyce, Sartre und Borges beschrieben wurde und wie diese männliche Blindheit die weibliche in den Schatten stellte. Das Buch schließt mit „Las casi ciegas” (dt. etwa „Die fast Blinden“), das anhand faszinierender Funde in Interviews und Briefen die „verschwommenen Biografien” von drei bedeutenden Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts erzählt – Gabriela Mistral, Marta Brunet und der Mexikanerin Josefina Vicens –, die unter Sehstörungen litten, ohne dass sich dies in ihrem Werk niederschlug.
Durch Fragmentierung, Montage und elliptische Anspielungen denkt Meruane das Genre des Essays neu und beleuchtet dabei alles, was das Auge, ob gesund oder krank, abwesend oder abweichend, für uns bedeutet.