Die chilenische Psychotherapeutin Paz Rojas Baeza schreibt in ihrem Buch La interminable ausencia über das Trauma der Militärdiktatur in Chile und die Folgen der Straflosigkeit. Dabei handelt es sich nicht um einen medizinischen, psychologischen oder gar wissenschaftlicher Bericht – obwohl das Buch reichlich Material dieser Art enthält. Vielmehr ist es das ethische und beispielhafte Zeugnis einer großzügigen und mutigen menschlichen Erfahrung in der luziden Konfrontation mit dem Bösen in seinen schlimmsten Ausprägungen, das durch eine umfangreiche Reihe von Erlebnisberichten grundlegende Fragen für das Verständnis der jüngsten Vergangenheit und für die Zukunft des Zusammenlebens in Chile aufwirft. Gleichzeitig ist es aber auch eine detaillierte Studie über die psychologischen, moralischen, spirituellen und oft auch physischen Wunden, die dem Menschen durch den Tod unter Umständen zugefügt werden, denen das fehlt, was Sigmund Freud die „Trauerarbeit“ nannte: Das gewaltsame Verschwindenlassen von Menschen, von dem in Chile Tausende betroffen waren und sind, hat nicht nur lang anhaltende, sondern auch dauerhafte Auswirkungen.
Essays über Musil
Dieser Essayband über Robert Musil versammelt die fünfzehn Werke, die Juan García Ponce dem Werk des österreichischen Schriftstellers gewidmet hat. Sie sind die Erfahrung der Strecke, die man bei der Lektüre eines Romanautors wie Robert Musil zurücklegt, und stellen einen Versuch dar, ihn im Universum der großen Autoren aufzuwerten, indem sie subtile Vergleiche anstellen: sei es mit Thomas Mann, James Joyce oder Marcel Proust. Die Situationen, die er in seinem Werk beschreibt, erschließen dem Leser die Realität in der österreichisch-ungarischen Monarchie zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Zusammengestellt hat diesen Essayband Armando Pereira, der auch das Vorwort zu diesen wichtigen Essays von Juan García Ponce verfasst hat. Die Verbreitung des Werks von Robert Musil in spanischer Sprache ist zu einem großen Teil dem begeisterten Blick von Juan García Ponce zu verdanken, den er über verschiedene Künstler mit seinen Lesern teilte.
Essays philosophischer Chronik
In dem Buch von Lucy Oporto Valencia werden die Bilder des krampfartigen Geschehens in der historischen Gegenwart des Chiles, das sich am Ende selbst verliert, als fragmentarische und durchdringende, wenn auch kontinuierliche Einbrüche eines größeren und unsichtbaren Geschehens gezeigt, das seit langem wie von unmenschlichen Grenzen her ausgebrütet wird, aber sehr schwer zu entziffern ist: ein umfassendes Sprießen des Unheimlichen – kein spontaner, frühlingshafter und karnevalistischer Ausbruch – vereint mit dem Vormarsch eines geistlosen Instinkts, das anlässlich der Ereignisse im Oktober 2019 deutlich wurde. He aquí el lugar en que debes armarte de fortaleza. Ensayos de crónica filosófica (dt. Dies ist der Ort, an dem du dich mit Kraft wappnen solltest. Essays philosophischer Chronik) von Lucy Oporto Valencia aus dem Jahr 2021, erschienen bei Katankura Editorial in Santiago de Chile, vereint Werke, die zwischen 2014 und 2021 entstanden sind. Der Schwerpunkt dieses Werkes liegt in Bezug auf Bild und Erfahrung auf dem Verfall, dem Geist und der Suche nach der Gestalt Gottes. Der Titel bezieht sich auf den »Vierunddreißigsten Gesang« des Infernos aus Dante Alighieris Göttliche Komödie und stellt damit eine Fortsetzung von Los perros andan sueltos. Imágenes del postfascismo (dt. Freilaufende Hunde. Bilder des Postfaschismus) der gleichen Autorin dar, welches im Jahr 2015 bei Editorial USACH erschienen ist.
Ein hauntologischer Essay
Das Ende der Arbeit, die Aufhebung der Familie und die Abschaffung der Zeit treten in diesem Buch von Simon Nagy als verwandte, einander sogar bedingende Begehren auf. Sie alle drehen sich um das Ziel, der künstlichen Produktion von Gegenwart ein Ende zu setzen und vergangene Kämpfe in kollektiv bestimmte Zukünfte zu transformieren.
Es ist 175 Jahre her, dass es erstmals beim Namen genannt wurde: das die Gegenwart heimsuchende, aus der Zukunft flüsternde Gespenst des Kommunismus. In den letzten Jahren tauchen wieder vermehrt solche Gespenster auf, die von radikal anderen Zukünften zu flüstern wissen. Sie erscheinen vor allem in Filmen, Romanen und künstlerischen Arbeiten, sind aber gar nicht so leicht zu erkennen, weil sie sich nicht an althergebrachte Formen des Spuks halten. Es braucht neue Werkzeuge, um sie aufzuspüren, mit ihnen ins Gespräch zu treten und herauszufinden, was sie uns über unsere Zeit, ihre Abschaffung und von möglichen anderen Zeiten berichten können.
Der hauntologische Essay Zeit abschaffen tritt mit Gespenstern der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit in einen solchen Dialog. Er sucht das Gespräch mit ihnen mit dem Ziel, ihr Flüstern nicht wie so oft als Drohung, sondern als Versprechen hörbar zu machen.
Studien zu Krise, Kultur und Mestizaje
Über mehr als drei Jahrzehnte hat Bolívar Echeverría (* 1941 in Robamba, Ecuador, † 2010 in Mexiko-Stadt, Mexiko) eine Vielzahl von Essays verfasst. Um einen möglichst umfassenden Einblick in sein Denken zu geben, wurden für den Band Für eine alternative Moderne. Studien zu Krise, Kultur und Mestizaje, Herausgegeben von David Graaff, Javier Sigüenza und Lukas Böckmann zehn Texte ausgewählt, die philosophisch und konzeptuell eng miteinander verschlungen sind, sich aber unter verschiedenen Topoi zusammenfassen lassen. In Ecuador geboren und im Deutschland der 1960er Jahre philosophisch inspiriert, entwickelte Echeverría sich zu einem der bedeutendsten zeitgenössischen Philosophen Lateinamerikas und prägte mehrere Intellektuellen-Generationen. Noch heute werden seine Arbeiten nicht nur in der akademischen Welt diskutiert, um sie auf die großen Probleme unserer Zeit anzuwenden und in politisch-emanzipatorischer Praxis konkret umzusetzen.
FAJ Hohmann: Geliebter Junge
In diesem zweiten Roman von FAJ Hohmann werden die Erlebnisse von Sebastian in der Zeit ab 1950 geschildert: Seine Flucht aus Europa, die Ankunft in Far East und seine Konflikte mit den Behörden seiner alten Heimat. Gleichzeitig schildert er in allen Einzelheiten die Anerkennung, die er in seiner neuen Wahlheimat von allen Seiten bekommt. Seine immerwährende Sehnsucht nach seinem Horan spiegelt sich in der tiefgehenden Reflexion sowohl über sein eigenes Verhalten, als auch über die Reaktion seiner ihm anvertrauten Jungen sowie über seinen Umgang mit ihnen wider. Der immer wieder eingeflochtene Rückgriff auf seinen ersten Roman bildet einen guten Einblick in die Lebensweise und das Verständnis der Denkweise dieses außergewöhnlichen Charismatikers.
Das Buch ist ab sofort als Taschenbuch erhältlich.
Eine Revolution der Liebe
Emilia Roig dekonstruiert in Das Ende der Ehe eine obsolete Institution, die die Ungleichheit und patriarchale Unterdrückung der Frauen in unserer Gesellschaft produziert und aufrechterhält. Dabei konzentriert sie sich auf die Institution der Ehe in der westlichen Welt, insbesondere Europa und Deutschland, auch wenn die Kritik an der Ehe sicherlich ein Stück weit verallgemeinert werden kann. „Wie der Nationalstaat oder die Grenzen, das Geld oder die Gefängnisse ist die Ehe eine Institution, die im Zuge des europäischen Imperialismus vereinheitlicht wurde und als universell bezeichnet werden kann.“ In allen Kulturkreisen ist die Ehe eine gewaltvolle Institution für Frauen, da die „Quelle der patriarchalen Gewalt, die in allen Religionen stattfindet, […] das globale Patriarchat“ ist.
Da Männer und Frauen in unserer Gesellschaft immer noch nicht gleichgestellt sind, muss nach ihr die Ehe abgeschafft und das Diktat heterosexueller Paarbeziehungen beendet werden, um das Ende des Patriarchats einzuleiten. Ihre machtkritische Analyse der Geschlechterverhältnisse öffnet den Horizont für eine Welt ohne Unterdrückung und zeigt, wie eine Revolution der Liebe gelingen kann.
Die „andere“ [moderne] mexikanische Literatur
Die Kulturgeschichte in Mexiko Mitte des 20. Jahrhunderts ging von einer Ruhephase in eine fast fiebrige Phase über und brachte eine „andere“ [moderne] Literatur hervor, was mit der Entstehung einer neuen literarischen Generation einherging. Salvador Elizondo, Inés Arredondo, Juan Vicente Melo, Sergio Pitol, Vicente Leñero, Julieta Campos, José de la Colina und Juan García Ponce stehen für die Hinwendung der mexikanischen Literatur zu einer Welt der Subjektivität, der inneren Realitäten. Diese neue Generación de la Casa del Lago, deren Wirkungszeitraum zwischen 1956 und 1968 verortet werden kann, sollte in die Periodisierung der mexikanischen Kulturgeschichte als literarische Generation eingehen, da neben dem essayistischen Werk die Prosa der Mitglieder dieser Generation der Höhepunkt der mexikanischen Literatur des letzten Jahrhunderts gewesen ist.
Als theoretischer Hintergrund wird im vorliegenden Buch das Konzept der Generationen nach Julius Petersen mit sieben in Frage kommenden Kriterien angewandt: das gemeinsame Geburtsdatum, eine gemeinsame Erziehung, die Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft, gemeinsam geteilte Erfahrungen, Anführertum, eine gemeinsam geteilte Sprache, sowie die Anerkennung früherer Generationen.
Erinnerungen von Ilse an Colonia Dignidad
Nur wenigen gelang es, aus der Siedlung deutscher „Colonos“ zu fliehen und die Gräueltaten anzuprangern, wie die Protagonistin dieser Geschichte. Mit einzigartiger Meisterschaft versetzt Emma Sepúlveda den Leser in diese düstere Mikrowelt. Ihre auf wahren Begebenheiten beruhende Erzählung, als Fiktion der Realität und Realität der Fiktion, bewegt und fordert uns in ihrer Beschreibung der individuellen Freiheit und der Stigmatisierung von Geschlechtsmerkmalen heraus.
“Dies sind die Memoiren, die Ilse, meine Adoptivmutter, nach der Verhaftung von Paul Schäfer, dem Gründer der Colonia Dignidad im Süden Chiles, geschrieben hat. Sie schrieb sie auf Deutsch, und ich habe sie ins Spanische übersetzt. Ich habe versucht, die Form ihrer einfachen Worte zu wahren, als kindliche und unschuldige Frau, die in den Jahrzehnten, in denen sie als Gefangene der Sekte in diesem Konzentrationslager lebte, nur vier Jahre Grundschulbildung erteilt bekommen sollte.”
¡Es reicht! Der Fall Mexiko
Seit Jahren liest man über die Schrecken, die der Krieg gegen die Drogen in Mexiko mit sich bringt. Das Massaker an 43 Studenten aus Ayotzinapa, in der Region Guerrero, ist nur eine der letzten Meldungen, die internationale Schlagzeilen gemacht hat – die Eskalation der Gewalt hat Ausmaße angenommen, die schon lange nicht mehr tragbar sind.
Wann und wie fing dieser absurde Krieg gegen die Drogen an? Wer hat ihn begonnen und warum? Wer profitiert dabei? Und welche fatalen Konsequenzen hat er für die mexikanische Gesellschaft? Carmen Boullosa und Mike Wallace zeigen in dieser Streitschrift die deprimierenden historischen und politischen Fakten auf: Bevor der Krieg gegen die sich vermeintlich wild verbreitenden Drogen in Gang gesetzt wurde, war Mexiko eines der Länder Lateinamerikas mit der geringsten Kriminalitäts- und Abhängigkeitsrate – heute gilt es als eins der Länder, welche die größten Probleme mit der komplexen Verflechtung von Drogen, Kriminalität und Gewalt haben. Dabei muss unterschieden werden zwischen Drogenkriminalität und dem organisierten Verbrechen.