Gerald Brenan: Al sur de Granada

Bild: Jenior Verlag

Unter den vielen englischen Globetrottern, die, angezogen von der spanischen Geschichte und Geografie, von ihren Abenteuern in diesem Land berichtet haben, ist Gerald Brenan ein besonderer Fall. Verführt von einem Land, das sich ein gewisses Maß an Anarchie und Rebellion bewahrt hat, wollte Brenan in seinem Werk Al sur de Granada (dt. Südlich von Granada) alle Aspekte festhalten, die ihn anzogen, von den amourösen Umgangsformen der Einheimischen bis hin zur lokalen Küche, den Kinderliedern, den elenden Bordellen von Almería und sogar den Besuchen von Persönlichkeiten wie Dora Carrington, Lytton Strachey, Virginia Woolf und Roger Fry, die er in denkwürdigen Szenen beschrieben hat. Dieses außergewöhnliche Werk, das 1957 erstmals veröffentlicht wurde, bietet eine originelle Symbiose aus Archäologie, Geschichte, Ethnologie und Anthropologie, gespickt mit suggestiven Interpretationen, die es von allen anderen Reiseerzählungen unterscheidet. Die reizvolle und unvergessliche Chronik eines englischen Reisenden in der Alpujarra von Granada in den 1920er Jahren.

→ weiterlesen

An der Schwelle zur Apokalypse

In einem Interview für die Zeitschrift Caballo de Fuego (Santiago de Chile, 2004), geführt von Annamaría Barbera L., geht der chilenische Schriftsteller Armando Uribe Arce (1933-1920) auf die heutigen apokalyptischen Zeiten ein. Schon Álvaro Mutis, kolumbianischer Dichter und Schriftsteller (1923-2013), sagte, dass der Mensch eine gescheiterte Spezies sei, weil wir nicht in der Lage sind, mit anderen Lebewesen zu koexistieren, und dass wir unser Scheitern an der Umwelt zeigen, in der wir leben, indem wir sie zerstören. Mit dieser Aussage stimmt Armando Uribe überein. Mehr noch, er glaubt, dass wir uns in einer apokalyptischen Zeit befinden: Der Mensch ist wie nie zuvor in der Lage, das Leben und den Planeten, auf dem er lebt, gewaltsam zu zerstören, sei es mit Hilfe des nuklearen Arsenals oder mit bakteriologischen und biologischen Massenvernichtungswaffen. Zudem wurden Viren geschaffen, die sich schnell vermehren und den Menschen innerhalb von Monaten auslöschen können. All dies wissen wir seiner Ansicht nach seit dem Zweiten Weltkrieg, aber anstatt Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, führen wir immer weiter schreckliche Experimente durch. Uribe stützt seine These auf das Buch Unser letztes Jahrhundert von Sir Martin Rees, einem britischen Astronomen und seit 1995 Königlicher Astronom. Dieser ist der Ansicht, dass das 21. Jahrhundert das letzte Jahrhundert für unsere Spezies und den gesamten Planeten sein könnte. Nicht nur wegen der Massenvernichtungswaffen, sondern auch wegen der wissenschaftlichen und technischen Experimente, die durchgeführt werden, wegen neuer Phänomene, die getestet werden, obwohl sie in der Natur oder in dem, was über den Kosmos bekannt ist, noch nie vorgekommen sind.

→ weiterlesen

César Farah: Patrioten

Bild: Penguin Libros

Santiago de Chile, Mitte der 1990er Jahre. Augusto Pinochet ist seit mehr als zwei Jahrzehnten mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln an der Macht. Nach dem Sieg des JA in der Volksabstimmung von 1988 hat die Diktatur ihre Macht gefestigt und hält mit Unterstützung ihrer Geheimpolizei SICH die Kontrolle um jeden Preis aufrecht. Dann bringt der Tod eines prominenten Künstlers ein dunkles Komplott ans Licht: Ein Aktenkoffer mit wichtigen Informationen, die über das Schicksal des Landes entscheiden könnten, ist verschwunden. Ein Komplott aus Tod und Verdacht verwickelt eine Reihe von Personen, deren Leben miteinander verflochten sind: Ivana, eine junge Guerillera, die dem Comando de Justicia Popular angehört; Alonso, ein Detektiv der Policía de Investigaciones, PDI; Martin Stein, Kommandant der SICH und Alejandra, eine Frau, die ins Kreuzfeuer gerät.

→ weiterlesen

Paz Rojas Baeza: Erinnern

Bild: LOM Ediciones

Das Buch von Paz Rojas Baeza mit dem Titel Recordar. Violación de derechos humanos: una mirada médica, psicológica y política (dt. Erinnern. Verletzung der Menschenrechte: Eine medizinische, psychologische und politische Sicht) kann, sowohl in Bezug auf die dunklen Zeiten der Diktatur als auch auf die Zeit nach der Diktatur, als eine Geschichte über die Arbeit für Menschenrechte in Chile angesehen werden. Die Autorin der in diesem Band versammelten außergewöhnlichen Beiträge ist Ärztin und Menschenrechtsaktivistin. Die wichtigsten Themen werden hier nicht nur vorgestellt, sondern auch eingehend analysiert und diskutiert. Wie sie im Titel betont, handelt es sich um „Verletzung der Menschenrechte: Eine medizinische, psychologische und politische Sicht“, wobei sie stets den Blick dafür behält, was getan werden kann und sollte. Noch wichtiger ist allerdings, dass sich die Texte nicht nur auf Ereignisse beziehen, die zur Geschichte beigetragen und diese geprägt haben. Es gibt mehrere Beispiele, aber der Beitrag von Paz Rojas Baeza über Augusto Pinochet war ausschlaggebend dafür, dass er in London verhaftet und dann nach einem langen Prozess an Chile ausgeliefert wurde, trotz der ganzen Anstregungen, ihn in Spanien vor Gericht zu stellen.

→ weiterlesen

Enzo Maqueira: Ruda macho

Bild: Ediciones Lea

Im Jahr 1993 verbreitete sich in einer öffentlichen Schule in Buenos Aires das Gerücht, dass ein Schüler, genannt Virgencito, übernatürliche Kräfte besitze. Seine Geschichte, eine Mischung aus Heiligem und Heiler, überdauerte die Korridore der Schule, geriet in Vergessenheit und tauchte fast zwei Jahrzehnte später in einem Buch wieder auf, das von der Besessenheit eines Mannes geschrieben wurde, der ihn kannte. Ruda macho ist ein Buch über Religion, Sex, Spiritualität und Perversionen. Eine Geschichte der Initiation in der Postmoderne, in der die Bibel, Hexenbücher, die Literatur von Hermann Hesse, Homosexualität, Khalil Gibran und die katholische Erziehung zu einer ebenso realen wie halluzinatorischen Chronik verschmelzen. Ruda macho ist ein Buch, welches sich in dem sogenannten magischen Realismus, dem realismo mágico, einordnen lässt.

→ weiterlesen

Die endlose Abwesenheit

Bild: LOM Ediciones

Die chilenische Psychotherapeutin Paz Rojas Baeza schreibt in ihrem Buch La interminable ausencia über das Trauma der Militärdiktatur in Chile und die Folgen der Straflosigkeit. Dabei handelt es sich nicht um einen medizinischen, psychologischen oder gar wissenschaftlicher Bericht – obwohl das Buch reichlich Material dieser Art enthält. Vielmehr ist es das ethische und beispielhafte Zeugnis einer großzügigen und mutigen menschlichen Erfahrung in der luziden Konfrontation mit dem Bösen in seinen schlimmsten Ausprägungen, das durch eine umfangreiche Reihe von Erlebnisberichten grundlegende Fragen für das Verständnis der jüngsten Vergangenheit und für die Zukunft des Zusammenlebens in Chile aufwirft. Gleichzeitig ist es aber auch eine detaillierte Studie über die psychologischen, moralischen, spirituellen und oft auch physischen Wunden, die dem Menschen durch den Tod unter Umständen zugefügt werden, denen das fehlt, was Sigmund Freud die „Trauerarbeit“ nannte: Das gewaltsame Verschwindenlassen von Menschen, von dem in Chile Tausende betroffen waren und sind, hat nicht nur lang anhaltende, sondern auch dauerhafte Auswirkungen.

Essays über Musil

Dieser Essayband über Robert Musil versammelt die fünfzehn Werke, die Juan García Ponce dem Werk des österreichischen Schriftstellers gewidmet hat. Sie sind die Erfahrung der Strecke, die man bei der Lektüre eines Romanautors wie Robert Musil zurücklegt, und stellen einen Versuch dar, ihn im Universum der großen Autoren aufzuwerten, indem sie subtile Vergleiche anstellen: sei es mit Thomas Mann, James Joyce oder Marcel Proust. Die Situationen, die er in seinem Werk beschreibt, erschließen dem Leser die Realität in der österreichisch-ungarischen Monarchie zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Zusammengestellt hat diesen Essayband Armando Pereira, der auch das Vorwort zu diesen wichtigen Essays von Juan García Ponce verfasst hat. Die Verbreitung des Werks von Robert Musil in spanischer Sprache ist zu einem großen Teil dem begeisterten Blick von Juan García Ponce zu verdanken, den er über verschiedene Künstler mit seinen Lesern teilte.

Essays philosophischer Chronik

In dem Buch von Lucy Oporto Valencia werden die Bilder des krampfartigen Geschehens in der historischen Gegenwart des Chiles, das sich am Ende selbst verliert, als fragmentarische und durchdringende, wenn auch kontinuierliche Einbrüche eines größeren und unsichtbaren Geschehens gezeigt, das seit langem wie von unmenschlichen Grenzen her ausgebrütet wird, aber sehr schwer zu entziffern ist: ein umfassendes Sprießen des Unheimlichen – kein spontaner, frühlingshafter und karnevalistischer Ausbruch – vereint mit dem Vormarsch eines geistlosen Instinkts, das anlässlich der Ereignisse im Oktober 2019 deutlich wurde. He aquí el lugar en que debes armarte de fortaleza. Ensayos de crónica filosófica (dt. Dies ist der Ort, an dem du dich mit Kraft wappnen solltest. Essays philosophischer Chronik) von Lucy Oporto Valencia aus dem Jahr 2021, erschienen bei Katankura Editorial in Santiago de Chile, vereint Werke, die zwischen 2014 und 2021 entstanden sind. Der Schwerpunkt dieses Werkes liegt in Bezug auf Bild und Erfahrung auf dem Verfall, dem Geist und der Suche nach der Gestalt Gottes. Der Titel bezieht sich auf den »Vierunddreißigsten Gesang« des Infernos aus Dante Alighieris Göttliche Komödie und stellt damit eine Fortsetzung von Los perros andan sueltos. Imágenes del postfascismo (dt. Freilaufende Hunde. Bilder des Postfaschismus) der gleichen Autorin dar, welches im Jahr 2015 bei Editorial USACH erschienen ist.

Ein hauntologischer Essay

Bild: Unrast Verlag

Das Ende der Arbeit, die Aufhebung der Familie und die Abschaffung der Zeit treten in diesem Buch von Simon Nagy als verwandte, einander sogar bedingende Begehren auf. Sie alle drehen sich um das Ziel, der künstlichen Produktion von Gegenwart ein Ende zu setzen und vergangene Kämpfe in kollektiv bestimmte Zukünfte zu transformieren.

Es ist 175 Jahre her, dass es erstmals beim Namen genannt wurde: das die Gegenwart heimsuchende, aus der Zukunft flüsternde Gespenst des Kommunismus. In den letzten Jahren tauchen wieder vermehrt solche Gespenster auf, die von radikal anderen Zukünften zu flüstern wissen. Sie erscheinen vor allem in Filmen, Romanen und künstlerischen Arbeiten, sind aber gar nicht so leicht zu erkennen, weil sie sich nicht an althergebrachte Formen des Spuks halten. Es braucht neue Werkzeuge, um sie aufzuspüren, mit ihnen ins Gespräch zu treten und herauszufinden, was sie uns über unsere Zeit, ihre Abschaffung und von möglichen anderen Zeiten berichten können.

Der hauntologische Essay Zeit abschaffen tritt mit Gespenstern der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit in einen solchen Dialog. Er sucht das Gespräch mit ihnen mit dem Ziel, ihr Flüstern nicht wie so oft als Drohung, sondern als Versprechen hörbar zu machen.

→ weiterlesen

Studien zu Krise, Kultur und Mestizaje

Bild: Argument Verlag

Über mehr als drei Jahrzehnte hat Bolívar Echeverría (* 1941 in Robamba, Ecuador, † 2010 in Mexiko-Stadt, Mexiko) eine Vielzahl von Essays verfasst. Um einen möglichst umfassenden Einblick in sein Denken zu geben, wurden für den Band Für eine alternative Moderne. Studien zu Krise, Kultur und Mestizaje, Herausgegeben von David Graaff, Javier Sigüenza und Lukas Böckmann zehn Texte ausgewählt, die philosophisch und konzeptuell eng miteinander verschlungen sind, sich aber unter verschiedenen Topoi zusammenfassen lassen. In Ecuador geboren und im Deutschland der 1960er Jahre philosophisch inspiriert, entwickelte ­Echeverría sich zu einem der bedeutendsten zeitgenössischen Philosophen Lateinamerikas und prägte mehrere Intellektuellen-Generationen. Noch heute werden seine Arbeiten nicht nur in der akademischen Welt diskutiert, um sie auf die großen Probleme unserer Zeit anzuwenden und in politisch-emanzipatorischer Praxis konkret umzusetzen.

→ weiterlesen