Alice Salomon Poetic Preis 2011

Eugen Gomringers »avenidas« von 1952 ist das erste Gedicht der Konkreten Poesie. Der Streit über dieses Gedicht an der Alice-Salomon-Hochschule entbrannte hauptsächlich an der Frage nach dem Verhältnis von Form und Inhalt. Die Form, die für Gomringer im Mittelpunkt des Gedichts steht, interessiert die Kritiker des Poems kaum mehr. Das Gedicht bestätige gesellschaftliche Wert­hierarchien und Normsetzungen, ­indem es den männlichen Blick reproduziere, der Frauen eine Rolle ­zuweise, während der Mann das handelnde Subjekt des Gedichtes sei, der eine beobachtende, bewundernde Funktion einnehme.

avenidas
avenidas y flores

flores
flores y mujeres

avenidas
avenidas y mujeres

avenidas y flores y mujeres y
un admirador

(Eugen Gomringer)

Über die Unterwerfung der Kunst unter die so genannte political correctness sowie den Streit um dieses Gedicht kann gerade überall viel nachgelesen werden…

Mit dem Protest bedienen Studierende genau das, was Gomringer und seine Mitstreiter in den 1950er Jahren propagiert haben: Sie hinterfragen Autoritäten, sei es die Universitätsleitung, seien es kanonisierte Dichter. Sie verstehen ihre Kritik als Einspruch gegen die gesellschaftliche Normalität des Alltagssexismus, fordern eine Reflexion im Umgang mit Sprache und ein Nachdenken über die Funktion der Kunst. Selbst wenn man das Gedicht anders liest, kann man die Aufforderung zur Diskussion zumindest honorieren: Das Gegebene zu hinterfragen ist schließlich das Beste, was man an einer Universität lernen kann.

Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, über den strukturellen Sexismus der künstlerischen Avantgarden zu sprechen, der sich von den Futuristen und Dadaisten über die Surrealisten bis zu den Bewegungen der Nachkriegszeit tradiert hat. Man hätte über den Widerspruch einer Kunstform reden können, die einerseits die bürgerlichen Kunst- und Gesellschaftsvorstellungen ablehnt, andererseits die untergeordnete Rolle der Frau affimiert, indem sie Künstlerinnen an den Rand drängt. Es wäre auch eine gute Gelegenheit gewesen, über die Entpolitisierung radikaler Kunstwerke durch ihre kulturindustrielle Vereinnahmung und Überführung in den bildungsbürgerlichen Kanon zu diskutieren. Denn um die politische Dimension der Konkreten Poesie geht es in der Feuilletondebatte, in der sich ohnehin fast alle einig sind, nicht mehr. Im Mittelpunkt steht eine im Gestus des »Das wird man doch wohl noch sagen dürfen« vorgetragene Verteidigung der Kunstfreiheit, in der gegenüber der Kritik die gleiche Ignoranz offenbar wird, die die Studierenden der Hochschule gegenüber dem Formbegriff der Konkreten Poesie und ihren politischen Aspekten zeigt.

Quelle: jungle.world

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