Ein hauntologischer Essay

Bild: Unrast Verlag

Das Ende der Arbeit, die Aufhebung der Familie und die Abschaffung der Zeit treten in diesem Buch von Simon Nagy als verwandte, einander sogar bedingende Begehren auf. Sie alle drehen sich um das Ziel, der künstlichen Produktion von Gegenwart ein Ende zu setzen und vergangene Kämpfe in kollektiv bestimmte Zukünfte zu transformieren.

Es ist 175 Jahre her, dass es erstmals beim Namen genannt wurde: das die Gegenwart heimsuchende, aus der Zukunft flüsternde Gespenst des Kommunismus. In den letzten Jahren tauchen wieder vermehrt solche Gespenster auf, die von radikal anderen Zukünften zu flüstern wissen. Sie erscheinen vor allem in Filmen, Romanen und künstlerischen Arbeiten, sind aber gar nicht so leicht zu erkennen, weil sie sich nicht an althergebrachte Formen des Spuks halten. Es braucht neue Werkzeuge, um sie aufzuspüren, mit ihnen ins Gespräch zu treten und herauszufinden, was sie uns über unsere Zeit, ihre Abschaffung und von möglichen anderen Zeiten berichten können.

Der hauntologische Essay Zeit abschaffen tritt mit Gespenstern der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit in einen solchen Dialog. Er sucht das Gespräch mit ihnen mit dem Ziel, ihr Flüstern nicht wie so oft als Drohung, sondern als Versprechen hörbar zu machen.

Simon Nagy arbeitet im Kontext verschiedener Kollektive in der Kunst-, Text- und kritischen Wissensproduktion in Wien. Er ist Vorstandsmitglied von trafo.K, einem Büro für Kunstvermittlung und kritischer Wissensproduktion. Mit Lia Sudermann dreht er dialogische Essayfilme, darunter den mehrfach ausgezeichneten Kurzfilm »Invisible Hands«. Er ist Teil der Künstler*innengruppe Schandwache, die gegen antisemitische Kontinuitäten im Wiener Stadtraum kämpft, und Mitbegründer der Pataphysischen Gesellschaft Wiens.

Das Wort hauntologisch stammt ursprünglich aus dem  französischen und bedeutet als Kofferwort aus dem englischen: to haunt = heimsuchen und dem Wort Ontologie zu deutsch etwa: Heimsuchungslehre. Nachdem Francis Fukuyama nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion das „Ende der Geschichte“ postuliert hatte (dem siegreichen Kapitalismus gehört nunmehr die Zukunft), setzte Jacques Derrida in seinem Buch Spectres de Marx das Modell der Hauntologie dagegen: als Vorstellung der ungefragten Präsenz von Ideen, Theorien und Modellen aus der Vergangenheit (imZusammenhang der 1993er Jahre die Modelle der Marx‘schen Geschichts- und Gesellschaftlehre, die als Kritik am Kapitalismus auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs weiter virulent blieben). Somit bewegt sich der Essay von Simon Nagy zwischen einem nicht-mehr und einem noch-nicht, was schon mit dem Titel nachvollziehbar ist.