Ana Emilia Felker: Pantano

Pantano ist ein essayistischer Roman, in dem Ana Emilia Felker anhand von Chroniken und persönlichen Tagebüchern über Migration, Rassismus und Identität nachdenkt. Die mexikanische Autorin lebt zum dritten Mal in den Vereinigten Staaten von Amerika – dieses Mal, um zu promovieren – und versucht, das Land jenseits ihrer eigenen Vorurteile zu verstehen, denn es ist nicht nur die Nation des Kapitalismus und des Krieges, des Geldes und der Schulden, sondern auch das Herkunfts- und Aufenthaltsland der Hälfte ihrer eigenen Familie. Indem sie über Autobahnen reist und über das Schreiben sinniert, fragt sie sich inmitten der Gewalt, welche die Grenzen jenseits des Rio Bravo vervielfacht, was der amerikanische Traum ist, was es ausmacht, weiß zu sein, wie man über die massenhaften Schießereien sprechen kann, ohne den Diskurs des Hasses zu reproduzieren, während sie ihrem Großvater hilft, seine Geschichten zu ordnen, und versucht, die Beziehung zu ihrem Vater wiederherzustellen – zu einer Zeit, in der das Leben in den amerikanischen Vorstädten seine jugendlichen Überzeugungen zu begraben und die Gesundheit seines Gedächtnisses zu schmälern scheint.

Der Autorin gelingt es, ein Mosaik von Stimmen und Geschichten zusammenzubringen, die es ermöglichen, über Rassismus und die Tatsache nachzudenken, Weiß zu sein, während Donald Trump regierte und einen Diskurs über die ‚Invasion der Latinos‘ führte, der Tragödien wie die fremdenfeindliche Schießerei eines jungen Amerikaners in einem Walmart in El Paso im Jahr 2019 auslöste. Der Essay Pantano in Form eines Romans hat zwei Achsen: auf der einen Seite die Geschichten verschiedener Charaktere, beispielsweise eines Nachbarn, der in einer Neonazi-Gang war, oder einer Frau, deren Großvater migrierte und einen Park gründete, oder auch eines Sohnes von Kolumbianern, der etwas gegen Weiße schrieb; und auf der anderen Seite die Beziehung zu der Familie der Autorin und die Geschichte ihres amerikanischen Vaters und Großvaters. Dabei interessiert sie, über „Weißsein zu sprechen, als Teil der innerlichen oder persönlichen Sache, mich selbst zu hinterfragen, von wo aus ich schreibe, ob ich als weiß angesehen werden kann und ob mir das erlaubt, über bestimmte Themen wie diese zu sprechen.“

Unabhängig von der Hautfarbe, die bestimmte Privilegien mit sich bringt, ist das Weißsein ein System des Überlebens und des Strebens. Bei der Kritik am amerikanischen Traum geht es in diesem Buch um das Weißsein, das in jedem Land vorhanden ist, um die Idee, an die Spitze zu streben, erfolgreich zu sein und andere zu vernichten. Es geht darum, dieses Streben, immer ‚weißer‘ zu werden, in Frage zu stellen und stattdessen nach anderen Bezügen und weniger gewalttätigen Lebensformen zu suchen. Felker ist der Ansicht, dass der Rio Bravo als Metapher für „die zerrissene Identität, die viele Migranten erleben und die von Autoren wie Gloria Anzaldúa beschrieben wurde, fungiert: weder von hier noch von dort zu sein, in der Mitte zu stehen, kulturell, identitär, was ein Gefühl des Verlustes impliziert, weil man weder dort, wo man angekommen ist, voll akzeptiert wird, noch von dem Ort kommt, den man verlassen hat“. Zur Rolle der Migranten verweist die Autorin unter anderem auch auf die Position der Chicana-Autorinnen Gloria Anzaldúa und Chela Sandoval, dass ihr Blick ein dritter Teil des Bewusstseins ist, der vergleichbar ist mit dem Mestizo-Bewusstsein bei Anzaldúa, und die Fähigkeit birgt, Dinge aus der Spaltung heraus zu betrachten: von einem Ort des Schmerzes, der Vertreibung, des Nicht-Zugehörens, aber auch, um das System und die Unterdrückungen darin zu sehen. Sandoval meint, dass dies etwas ist, was allen Menschen jetzt, in diesem kapitalistischen System, passiert, das alle vertreibt und einem das Gefühl gibt, nicht dazuzugehören. Diejenigen, die sich in einer prekären Situation befinden, eint die Vision der Nicht-Zugehörigkeit, die Migranten seit Jahren haben, und dass eine strategische Allianz zwischen Weißen und denen, die schon immer draußen waren, geschlossen werden kann. Ana Emilia Felker kommt zu dem Schluss, eine literarische Wahl getroffen zu haben, weil viele Menschen emotionale Reaktionen gegen die Vereinigten Staaten, die Anti-Yankees oder diejenigen haben, die diesen kulturellen Imperialismus lieben und leben. Sie habe versucht, diese innerliche Beziehung, welche die Mexikaner im Allgemeinen zu dieser Kultur haben, widerzuspiegeln.