Das Mysterium der Muse Albán

Eine der greifbarsten Bestätigungen von Alejo Carpentiers Ideen über lo real maravilloso, das wunderbar Reale, liegt vielleicht nicht in Südamerika, sondern in den Zeugnissen ausländischer Schriftsteller, die ein Land wie Mexiko kannten: die Verzauberung von Katherine Anne Porter und César Moro, die spirituelle Erkundung von Aldous Huxley und Antonin Artaud, der Exodus von Malcolm Lowry in Cuenravaca und Oaxaca, die Suche des richtigen Wegs der Beat-Triade in der Colonia Roma in Mexiko-Stadt und André Bretons „surrealistisches Land“. Eine Anekdote über Breton kann dies deutlich machen. Während eines Besuchs in Xochimilco zeichnete Breton einen Stuhl, aber der Winkel seines Entwurfs ließ nur drei Beine sichtbar werden und verdeckte eines der hinteren Stuhlbeine. Er beauftragte dann einen Handwerker, den Stuhl nach seiner Zeichnung anzufertigen. Die Handwerkskunst des Mannes mit Holz und Hanfseil war so präzise, dass der an Breton gelieferte Stuhl nicht nur perfekt war, sondern auch nur drei Beine hatte.

Diese Anekdote erzählte José Quezada bei einem Interview auch Michèle Albán, um zu erfahren, wie Mexiko sie aufgenommen hat (siehe Tiempo en la casa No. 29, Juni 2016). Wer aber war Michèle Albán, die Frau, die über Jahre hinweg das Leben und das Schreiben von Tomás Segovia, Salvador Elizondo und Juan García Ponce mit beeinflusst hat? Michèle Albán wurde am 3. August 1929 in Zürich geboren und kam 1942 mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater als spanischer Flüchtling, an Bord eines Schiffes, das Marseille verließ und in Casablanca und Port of Spain Halt machte, nach Mexiko. Sie studierte Philosophie und Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Klassische Literatur, während sie als Bibliothekarin und Archivarin arbeitete. Später unterrichtete sie Französisch in Guanajuato, Mexiko, zunächst an der Universität, und später dann an der weiterführenden Schule der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM). Sie war zweimal verheiratet und wieder geschieden: Zuerst in jungen Jahren mit Tomás Segovia, mit dem sie einen Sohn, Rafael, bekam. Anschließend mit Salvador Elizondo, mit dem sie zwei Töchter bekam: Pía und Mariana. Danach war sie die Begleiterin von Juan García Ponce, der sich bei der Preisverleihung des XI Premio de Literatura Latinoamericana y del Caribe Juan Rulfo 2001 mit diesen Worten an sie erinnert:

”Nach einem ziemlich chaotischen Leben und dem Ende von La presencia lejana war ich bereits mit Michèle Albán zusammen. Mit ihr schrieb ich mein dickes Buch El reino milenario – über Robert Musil, den ich für den besten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts halte–, die Kurzerzählung „El gato“; La cabaña, eine frühreife Autobiografie, die von einem Verlag in Auftrag gegeben wurde (ohne viele biografische Elemente und welche eher ein Essay darüber war, was für mich die Aufgabe des Schriftstellers ist), Desconsideraciones und Cinco ensayos, und habe meine Essays über Malerei in La aparición de lo invisible und meine Essays über Literatur in Entrada en materia zusammengefasst.“

Von Tomás Segovia übernahm Michèle Albán die Freude an der Literatur und der Dichtung. Für sie war es eine Art Startpunkt und daher für sie eine wichtige Begegnung in ihrem Leben. Aber auch Salvador Elizondo war überaus wichtig für sie, ein sehr intelligenter Typ, fein und fast verdreht, der sie mit seiner Intelligenz eroberte, da er „nicht gerade gutaussehend war“. Nur Juan García Ponce gab ihr wohl nicht gerade viel, da er auch auf literarischem Gebiet nicht gerade ihr Wissen erweitern konnte. Eine Zeit, die sie „lieber aus ihrem Leben löschen würde“. Sie selber hat nie etwas veröffentlicht, allerdings war die Übersetzung von Pierre Klossowski aus dem Französischen von ihr, und Juan García Ponce gab der Übersetzung den literarischen Stil, da sie es war, „die in Wirklichkeit dem Französischen mächtig war“.  Michèle Albán starb am 11. Dezember 2017 in Tepoztlán, Morelos.