Literaturtheoretiker Gérard Genette gestorben

Kritiker, Schöpfer der Zeitschrift „Poétique“ und Autor von „Figures“, Gérard Genette starb im Alter von 87 Jahren.

Gérard Genette, ein großer Literaturtheoretiker, Poetischer Praktiker und Spezialist für die allgemeine Theorie literarischer, insbesondere narrativer Formen, starb am Freitagmorgen, dem 11. Mai 2018. Er hinterlässt eine beachtliche Arbeit mit einer oft unerwarteten Entwicklung. In der Tat ist nichts weniger akademisch oder abgegrenzt als seine Reflexionen, die, ohne jemals von einer großen Strenge, insbesondere in der Terminologie, abzuweichen, sich viele Umwege sowie eine spielerische Auseinandersetzung mit der Literatur und ihren Margen erlaubt; und nicht nur in der Literatur, sondern auch anderer Künste.

Diese Ton- und Themenfreiheit bietet – gerade in der letzten Phase seines Werkes – eine Öffnung hin zum Leser, sicherlich aufgeklärte Amateure, aber nicht unbedingt Spezialisten. Die starren oder verfestigten Formen der Literaturtheorie in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts belebte Genette, ohne diese abzulehnen, mit einer Kunst und Inspiration, die der eines Schriftstellers absolut gerecht geworden wäre. Wie Roland Barthes, Jean-Pierre Richard oder Jean Starobinski – jeder auf seine Weise – zeigte er den kreativen Teil auf, ohne dass die Literaturwissenschaft oder die Kritik ihre Seele und Kraft verloren hätten.

1930 in Paris geboren, war Gérard Genette der Sohn eines Textilfachmanns. ”Mein Vater arbeitete am Rande der Sentier, rue Jussienne…“ Er verbrachte seine Kindheit und Jugend in Conflans-Sainte-Honorine (Yvelines). Als Student von Jacques Derrida an der Ecole Normale Supérieure seit 1951 mit einem Abschluss in Literatur, unterrichtete er zunächst (wie Derrida) in Vorbereitungsklassen am Lycée Montesquieu in Mans, bevor er 1963 Assistent von Marie-Jeanne Durry, Professorin für französische Literatur, an der Sorbonne wurde. Vier Jahre später, unterstützt von Roland Barthes, wurde er zum Dozenten an der Ecole des hautes études en sciences sociales ernannt, an der er als Studienleiter bis zu seiner Pensionierung arbeitete.

Quelle: Le Monde
Siehe auch den Nachruf in der Neue Zürcher Zeitung