Ein Freund der Erde

Bild: dtv

Wir schreiben das Jahr 2025. Der Treibhauseffekt hat weltweit voll zugeschlagen, im Loiretal wird nicht mehr Wein, sondern Reis angebaut, die meisten Säugetiere sind ausgestorben, allein in Kalifornien leben rund 60 Millionen Menschen, und das Essen ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Ty Tierwater, einst, in den 80er Jahren, militanter Ökoaktivist, kümmert sich als rüstiger und nur sexuell leicht frustrierter Fünfundsiebzigjähriger im Auftrag eines schwerreichen Popstars um ein paar verwahrloste Tiere, die zu den letzten ihrer Spezies gehören. Da taucht eines Tages seine Ex-Frau Andrea mit einem ganz besonderen Anliegen wieder bei ihm auf. – Boyle beschreibt in seinem neuen Roman eine Zukunft, die schon begonnen hat. Mit Sarkasmus und seinem unverwechselbaren Witz schildert er eine verwüstete, zerstörte Welt, in der noch immer ein Fünkchen Hoffnung keimt (vorderer Klappentext).

Hier mal eine kleine Kostprobe (S. 100 f.):

„Als ich noch jünger war — sagen wir, jung —, da kannte ich nur Leute, die am Leben waren. Inzwischen ist praktisch jeder tot, den ich kenne oder einmal kannte, und das Komische ist, daß keiner von ihnen eines natürlichen Todes starb — Er verschied im Schlaf, hat nicht gelitten, so was gab es nicht. Onkel Sol war eine Ausnahme, obwohl mir auch sein Tod unnatürlich vorkam, so wie jeder Tod unnatürlich scheint — ich war damals noch ein Teenager und arbeitete auf seiner Safari-Ranch in San Diego, wir steckten beide bis zu den Ellenbogen in uringesättigtem Stroh und der exotischen Scheiße exotischer Viecher, und, wie gesagt, er beugte sich eines Morgens über die Bulbulkäfige und spürte den Stich der Sterblichkeit zwischen den Rippen. Und das soll natürlich sein? Ich hatte Freunde, die vom Krebs dahingerafft wurden, und Lori — Lori ist in meinen Armen gestorben, wir beide mit Gazemasken vor dem Mund und die Mucosa so dick in ihren Lungen und im Hals, daß sie trotz eines Luftröhrenschnitts nicht mehr atmen konnte, und auch das war ganz natürlich, nichts ist natürlicher als die Krankheiten, die wir mit unserer klebrigen, promiskuitiven Lebensweise verbreiten. Aber was ist mit meinen Eltern, meiner Frau, meiner Tochter, was ist mit Teo? Man sagt, selbst wenn man alle Krankheiten heilen könnte (und was für ein Witz aus dieser hübschen Verheißung geworden ist), würden die Leute dennoch nicht viel älter als neunzig werden, wegen der vielen Unfallrisiken im Leben. Statistische Lebenserwartung? Würfeln ist genausogut.

Zufall und Unfall regieren das Universum, das weiß ich, und man entrinnt ihnen nicht, egal, was die Wissenschaft sagt. Aber vom Zufall gelangt man leicht zur Idee des Glücks — und wer ans Glück glaubt, kann ebensogut die Kristallkugel hervorkramen und eine Zauberformel sprechen, oder sich von April Wind ein Totem ausborgen und mit den Bäumen quatschen. Los doch, betet zu den Göttern, betet zu Gott und zu Jehova, betet zu Newton und Kepler und Oppenheimer. Ihr werdet ja sehen, was es euch nützt.“