Aus globalen Krisen lernen

Im Zeitmagazin (Nr. 19 vom 05.05.2022) findet sich ein Interview mit Andrew Gowers über seine Lehren aus globalen Desastern. Mehrmals in seiner Karriere hat er es erlebt, wenn in großen Konzernen plötzlich alles zusammenbricht. Als Kommunikationschef bei Lehman Brothers war er nah an der „größten Finanzkatastrophe aller Zeiten“ (S. 28) dran; nach der Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko machte er beim BP-Konzern „die größte Umweltkatastrophe der modernen Welt“ (S. 28) mit; für ihn ist Rupert Murdoch, der australische Medienmogul, „für eine Menge Mist verantwortlich“ (S. 29), da er mit dafür gesorgt hat, „dass der Zustand unserer Demokratie weniger gesund ist als vorher“ (S. 29). Und auch Angela Merkel „handelte [in ihrer gesamten Amtszeit] wie eine Agentin der deutschen Wirtschaft […], getrieben von wirtschaftlichen Interessen“ (S. 29).

Nach seinem Rauswurf bei der Financial Times wegen Auflagenrückgangs im November 2005 bekam er das Angebot, Kommunikationschef der Bank Lehman Brothers zu werden. Schon damals kam ihm die Erkenntnis: „Unser kapitalistisches System funktioniert ohne die Finanzmärkte nicht. […] Aber Sie werden mich nicht dazu bringen, unser kapitalistisches System insgesamt infrage zu stellen“ (S. 31). Offensichtlich gibt es für ihn in Anbetracht der Alternativen kein besseres System, da „die kapitalistische Ordnung mit ihrem Wettbewerb besser als jede andere Alternative“ (S. 31) ist. Am 15. September 2008 meldete die Bank Insolvenz an, was weitreichende Folgen hatte. Zuvor glaubten der CEO Richard S. Fuld Jr. und sein Vorstandsteam, „dass gerade eine neue Welt mit neuen Regeln entsteht. Eine Welt, in der Geld keine reale Funktion mehr hat, eine Welt, die abgekoppelt wird von der Realität“ (S. 31). Für den Vorstand gab es zwei Hoffnungen: Entweder kommt die Politik für die Verluste auf, oder aber Lehman Brothers wird von der Barclays Bank gekauft. Beides trat nicht ein. Die Politik ließ Lehman Brothers fallen und rettete die anderen Banken, zumal sie nicht wie andere von einem guten Netzwerk profitieren konnte. Dies löste die größte Finanzkrise aus, doch „der Rausch des unbegrenzten Geldes ist längst zurück“ (S. 32).

Drei Tage vor der Pleite kündigte Gowers bei Lehman Brothers, bei der er „mehr über die Mechanismen und Zustände unserer Zeit gelernt“ (S. 32) hat als in den Zeiten als Journalist. Und wechselte als Kommunikationschef zu British Petroleum (BP), wo die nächste Katastrophe folgte: die Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon im April 2010. Bei BP herrschte eine große Arroganz. Pläne, „eine Art Risikoabteilung aufzubauen, [die] sich mit den Eventualitäten von Großkatastrophen beschäftigen“ (S. 34) sollte, blieben in der Schublade liegen. „Man wusste, dass eine Katastrophe passieren könnte […], dass man sich eigentlich auf derartige Katastrophen bei der Tiefseebohrung vorbereiten“ (S. 34) musste. Aber eine gute Planung für die Zukunft stört den Wachstum, und die Aktionäre wollen nur ihre Dividende bei gleichzeitiger Kostenreduzierung sehen. Am 20. April 2010 explodierte dann die Ölplattform im Golf von Mexiko und ging zwei Tage später unter. Elf Arbeiter verloren ihr Leben, es gab viele Verletzte, und 87 Tage lang strömte das Öl ins Meer, bis schließlich das Leck gestopft werden konnte.

Nachdem im Oktober 2010 der damalige Chef von BP, Anthony Hayward, abgesetzt wurde, verließ auch Gowers den Konzern und wechselte zu einem weiteren „Konzern, diesmal einer, den keiner kennt: Trafigura. […] Geschäftsfelder: Kohle und Öl, Bodenschätze, Rohstoffe. Und wieder ein skandalträchtiger Konzern“ (S. 35). Der Gründer, einer der umstrittensten Rohstoffhändler, stand mehrmals vor internationalen Gerichten. Trafigura sorgte mit einem riesigen Giftmüllskandal in der Elfenbeinküste für Schlagzeilen, welcher 2006 zum Tod von zehn Einwohnern und Zehntausenden mit Atemwegsproblemen führte. Trotzdem geht Gowers davon aus, dass sich „an einem Konzern wie Trafigura […] entscheiden [wird], ob die Transformation zu den erneuerbaren Energien funktionieren“ (S. 35) kann.

Wie also sollte man laut Gowers den globalen Krisen am besten begegnen, und was läßt sich aus ihnen lernen? Nach wie vor gibt es zu viele „Löcher und Baustellen, die das ganze Gebilde irgendwann zum Einstürzen bringen können“ (S. 35). Man sollte sich auf diese Situationen, „Möglichkeiten eines Extremereignisses wie eines Wirtschaftskollapses und einer Umweltkatastrophe […] mit unvorhersehbaren Auswirkungen“ (S. 35), vorbereiten. Für Gowers gilt nach wie vor das alte englische Sprichwort: Das Beste hoffen und sich auf das Schlimmste vorbereiten. Dies zumindest scheint er als Lehre aus einem Leben, in dem er globale Katastrophen hautnah miterlebt hat, gelernt zu haben. Also gilt auch für ihn die von ihm angeführte Kritik gegenüber einem Konzern wie BP: „Lasst die anderen reden, wir machen einfach weiter wie gehabt“ (S. 34).