Das Haus als Museum

Bild: „Mujeres Consciencia“
© Leonora Carrington

Im Oktober 2018 öffnete bereits das zweite Museum, welches der Malerin und Schriftstellerin Leonora Carrington in San Luis Potosí gewidmet ist. Das erste Museum befindet sich in der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates von Mexiko. Nun öffnet auch das Haus der anglo-mexikanischen Künstlerin in Mexiko-Stadt seine Türen für die Öffentlichkeit, um als Museum einige ihrer Werke und persönlichen Gegenstände auszustellen. Der neu zu eröffnende Raum beherbergt Gegenstände des täglichen Lebens der Familie Weisz Carrington, die in diesem Haus in der Colonia Roma mehr als 60 Jahre lang lebte. Ausgestellt werden nach Auskunft von Alejandra Osorio, Kulturdirektorin der Universidad Autónoma Metropolitana (UAM) mehr als 8.600 Objekte. Pablo Weisz Carrington, der Sohn der Künstlerin, verkaufte das Haus an die UAM unter der Bedingung, dass es ein Museum werden würde. Im Gegenzug spendete er im Mai 2020 die Werke seiner Mutter im Wert von drei Millionen Dollar.

Leonora Carrington (* 6. April 1917 in Clayton Green, Chorley, Lancashire, England; † 25. Mai 2011 in Mexiko-Stadt) war eine der prominentesten Künstlerinnen der surrealistischen Strömung. Ihr Gesamtwerk umfasst Malerei, Bildhauerei, Druckgrafik, Textilien und Schmuck. Auch schrieb sie Theaterstücke, Romane und Kurzerzählungen. Sie war mit den prominentesten surrealistischen Künstlern ihrer Zeit verbunden, darunter Max Ernst, Remedios Varo, André Breton und Luis Buñuel. Carrington schuf Werke, die Autobiografie und Fiktion, Alltägliches und Magisches miteinander vermischen. Ihre Werke sind bevölkert von phantastischen Wesen, viele davon tierische Zwischenwesen, die sich auf keltische Mythologie, Hermetik, Kabbala und phantastische Literatur beziehen.

Geboren 1917 in Lancashire, England, wuchs Carrington umgeben von keltischen Mythen auf. Erzählt wurden sie ihr von ihrer Mutter Maureen Moorhead, ihrer Großmutter und ihrem Kindermädchen, die alle Iren waren und zu Fabeln neigten. Sie erzählten ihr unter anderem von den alten mythischen Rassen Irlands, mit denen die Moorheads angeblich in den Feldern und Gassen gelebt haben. Ihr Vater, Harold Wilde Carrington, war hingegen ein erfolgreicher Geschäftsmann, der die Fantasie und die künstlerischen Interessen seiner Tochter vehement ablehnte. Er erhoffte sich, dass Leonora, nach ihrem Debüt bei einem Ball im luxuriösen Hotel Ritz in London und nachdem sie am königlichen Hof von George V. vorgestellt wurde, einen Ehemann und eine bequeme Zukunft in der Oberschicht finden würde.

Nach einem Dinner in London verliebte sich Leonora in Max Ernst, einen der prominentesten Künstler der surrealistischen Bewegung. Im Paris der 1930er Jahre schloss sie sich der surrealistischen Gruppe von Andre Breton an und lebte mit Künstlern wie Salvador Dalí, Joan Miró, Man Ray, Pablo Picasso, Lee Miller und Luis Buñuel zusammen. Die Surrealisten empfingen sie als eine ihrer wichtigsten Musen und bejubelten ihr Talent, was die Entwicklung ihres Werkes begünstigte. Für sie war es eine idyllische Zeit, die nach einem Jahr in Paris mit Ernst nach Südfrankreich floh und sich in St. Martin-d’Ardèche niederließ. Die Aufgänge und Wände des Hauses, das sie gemeinsam dort bewohnten, waren mit phantastischen Kreaturen bedeckt; Figuren, deren Funktion es war, sie vor dem Eindringen von Ernsts Frau und anderen Surrealisten zu schützen. Ernst brachte ihr verschiedene Techniken wie die Frottage bei, die darin besteht, ein Stück Papier über ein Objekt zu legen, es mit einem Bleistift zu reiben und so die Textur des Objekts auf das Papier zu übertragen. Diese und andere Techniken dienten den Surrealisten als Ausgangspunkt für ihre Werke.

Die Romanze zwischen Carrington und Ernst wurde durch den Vormarsch des Zweiten Weltkriegs unterbrochen. Max Ernst wurde verhaftet und Leonora Carrington floh mit Freunden, die sich um ihren sich verschlechternden Geisteszustand sorgten, nach Spanien. Dort wurde sie in eine psychiatrische Klinik in Santander eingewiesen, später wollte ihre Familie sie dann in eine weitere Klinik in Südafrika verlegen. Auf dem Weg dorthin gelang Leonora in Lissabon die Flucht vor ihrer Krankenschwester, indem sie zur mexikanischen Botschaft ging, wo Renato Leduc, ein Dichter und Diplomat, sie heiratete, damit sie Europa, dem Krieg und dem Einfluss ihres Vaters entkommen konnte.

Das Paar verbrachte ein Jahr in New York, wo Carrington mit einer Reihe von Surrealisten wieder in Kontakt kam. Sie kam dann 1941 in Mexiko an und ließ sich kurz darauf freundschaftlich und in beiderseitigem Einvernehmen von Leduc scheiden. In dieser Zeit schrieb sie Abajo (auf Deutsch bei Suhrkamp unter dem Titel „Unten“ erschienen), einen Text, der von ihren Erfahrungen in der psychiatrischen Klinik von Santander berichtet. Dank der großzügigen Einwanderungspolitik von Präsident Lázaro Cárdenas fanden mehrere europäischen Surrealisten Zuflucht in Mexiko, mit denen sie zusammenlebte. Unter ihnen waren Wolfgang Paalen und Alice Rahon, José und Kati Horna, Benjamin Peret und Remedios Varo, die ihre engste Freundin werden sollte. Sie freundete sich auch mit dem Mäzen Edward James an, der einer ihrer größten Sammler wurde. Auch pflegte sie Beziehungen zu mexikanischen Künstlern, darunter Frida Kahlo und Diego Rivera, sowie zu Schriftstellern wie Carlos Fuentes und Octavio Paz.

In Mexiko bildete Carrington ihr künstlerisches Potenzial voll aus und gründete eine Familie mit dem ungarischen Fotografen Emir ‚Chiki‘ Weisz, mit dem sie zwei Söhne, Pablo und Gabriel, bekam. Mit Ausnahme von einigen Jahren in New York und Chicago, verbrachte Carrington den Rest ihres Lebens in Mexiko. In den 1970er Jahren schloss sich Carrington der feministischen Bewegung in Mexiko an und produzierte das Poster „Mujeres Conciencia„. In ihren späteren Jahren widmete sie sich hauptsächlich der Bildhauerei. Sie starb im Alter von 94 Jahren an einer Lungenentzündung in Mexiko im Jahr 2011.