Im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts wird der Name Aretino zum Synonym für Pornografie. Pietro Aretinos Werk Stellungen aber schien für immer verschollen zu sein.
Die Geschichte der erregenden Literatur ist eine der Verbote und der verschlossenen Bibliotheken, zugleich aber auch die Geschichte legendärer Bücher und schillernder Autorengestalten. Eine der berühmtesten ist die eines schmalen Buches, das 1525 in Rom gedruckt, verboten und verbrannt wurde, und doch den Ruhm seines Verfassers über Jahrhunderte hinweg begründete. Pietro Aretinos „I Modi – Stellungen, sechzehn Sonette“: der Urtext aller modernen Pornografie.
Dass die „Stellungen“ erst vor wenigen Jahren in dieser Nachdichtung von Thomas Hettche, die 2003 neu aufgelegt wird, auf Deutsch erschienen, zeigt, wie lange Verbote eine literarische Gattung im Zaum hielten. Doch nun droht der Pornografie, die einst den Siegeszug des Romans erst ermöglichte, unter der Last der Bilder ein endgültiger Verlust ihrer Macht.
Für Thomas Hettche wird die Diskussion um die Bücher von Michel Houellebecq oder Catherine Millet zum Zeichen des Untergangs der Imagination. In dem Essay „Vom Anfang und Ende der Pornografie“, der in diesem Band enthalten ist, schreibt er, dass wir gerade das Ende der „erregenden Literatur“ erleben. An den Texten von Michel Houellebecq oder an den Romanen von Catherine Millet kann man nach Hettche sehen, dass die Schilderung des Körpers einen anderen Stellenwert bekommt. Sie ist bei beiden Autoren etwas ganz Pragmatisches, etwas fast Naturalistisches. Körper sind nicht mehr die Punkte der Aufladung mit Emotionen, sondern sind beinahe etwas Neutrales. Man kann den Eindruck gewinnen, dass es in diesen neuen pornografischen Texten eher darum geht, den Körper in einer naturalistischen Atmosphäre zu retten, statt ihn zu überhöhen. Das mag einmal mit der großen Dominanz der Bildkörper zu tun haben, die uns umgibt und die unser Bild vom Körper bestimmen, oder eben damit, dass Literatur ihren Bereich eher darin sieht, so was wie Natürlichkeit und Einfachheit in der Schilderung des Körperlichen zu liefern.
Der Schriftsteller Leon de Winter sagt, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Pornografie und Erotik die Objektivierung der Lust sei. Für ihn geht es in der Pornografie um unpersönliche Leidenschaft, um blinde Geilheit, in der Erotik dagegen immer auch um den Gegenstand der Lust, die spezifische Frau, die begehrt wird. Erotische Literatur wie sehr viele andere Genres der etwas betulichen Literatur stellen nie in Frage, wo eine Figur aufhört und wo sie anfängt. Aber der Text ist laut Hettche doch eher so, dass wir uns selber erfahren; jemand in einer Grenzsituation, gerade auch in der Liebe, der sich oft durchaus nicht sicher ist, wo der eigene Körper endet, wo er beginnt, dass wir in der Liebe nicht sicher sind, wenn wir uns wirklich verlieren, wo das Ich endet und wo es anfängt. Und genau bei dieser Auflösung des Ichs denkt Thomas Hettche beginnt Pornografie mehr zu sein als eben nur erregende Lektüre, weil sie auslotet, wie wir uns in Grenzerfahrungen erleben, wie wir wirklich sind und wie wir das bejahen können, dass wir nicht mehr jemand sind. Und das zeigt gerade auch Aretino in seinen Sonetten, die natürlich von einem Mann und einer Frau handeln, die sozusagen gesichtslos bleiben, die aber eine Allgemeinheit abbilden. Trotzdem bemerkt man dann aber doch, in der Art und Weise, wie diese beiden vielleicht immer identischen, vielleicht verschiedenen Paare miteinander reden, spürt man sozusagen den Subtext der Persönlichkeit und die Vorliebe und die Angst und die Zärtlichkeit des jeweils Einzelnen, und gerade dieses Changieren zwischen dem ganz Subjektiven und dem ganz Allgemeinen, findet Hettche, hat Literatur in allen Bereichen immer ausgezeichnet.