Der Stolz der Mexica

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Zwei Jahrzehnte nach dem Untergang ihres Reiches im Jahr 1521 fertigten aztekische Autoren für den spanischen König ein prächtiges Buch über ihr Staatswesen an. Viele der Bilder aus dem Codex Mendoza sind berühmt, etwa das erste, das die Gründung Tenochtitlans im Jahr 1324 zum Thema hat: Ein Adler auf einem über einem Stein wachsenden Feigenkaktus zeigt einer Gruppe aztekischer Würdenträger den Ort ihrer neuen Heimat. Gerne reproduziert werden auch Bilder aus dem dritten Teil des Codex, der Einblicke in das Alltagsleben der Azteken vor der Eroberung durch die Spanier gewährt.

Weniger bekannt sind dagegen die spanischen Texte zu diesen Bildern, die fast nur die vorspanische Welt der Azteken zum Gegenstand haben. Seit dieser Woche kann sich jeder in dieses eigentümliche Gegenüber vertiefen, wie Ulf von Rauchhaupt in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 38 vom 26.09.2021 berichtet. Denn nun erschien eine prachtvolle Ausgabe des Codex Mendoza, für die der Berliner Historiker Stefan Rinke sämtliche spanischen Texte und Anmerkungen übersetzt und mit Fachkollegen eingehend die Hintergründe des Codex erläutert hat.

Tatsächlich sind viele Bilder des Codex Mendoza für sich allein genommen nicht verständlich, denn sie tragen nicht die gesamte Information über das Dargestellte. Zwar benutzten die Azteken Ansätze eines hieroglyphischen Schriftsystems, bei denen Bildelemente auch für Laute stehen können. Doch anders als Maya oder Ägypter verwendeten sie es nicht zur kompletten Codierung gesprochener Sprache, sondern nur für Orts- und Personennamen. Anderes wurde durch Bilder und Symbole ausgedrückt oder angedeutet, die aber oft standardisiert waren.

Nun ist der Codex Mendoza nicht das einzige Werk aus früher Kolonialzeit, das über vorkoloniale aztekische Geschichte berichtet. Insgesamt gibt es mehrere Hundert solcher Dokumente, die in aztekischer Buchtradition stehen und bezeugen, dass die Kultur der Mexica durch die spanische Eroberung keineswegs verschwand. Zwar gingen im Zuge der Conquista ganze Bibliotheken mit Abertausenden Amoxtli (Faltbücher aus Rindenpapier) in Flammen auf, doch gezielte Bücherverbrennungen richteten sich gegen die aztekische Religion – schließlich war die Bekehrung der Einwohner das Hauptargument gewesen, mit denen die Conquistadoren zu Hause ihre Feld- und Raubzüge rechtfertigten. Manuskripte mit Berichten über aztekische Götter, Mythen und Rituale begann man daher in der Regel erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts anzufertigen, als von denen, die im Polytheismus aufgewachsen waren, kaum noch jemand lebte und die ersten Generationen christlicher Nahuatl-Sprecher herangewachsen waren. Nun konnten die alten Götter Gegenstand ethnographischen Interesses werden. In der Entstehungszeit des Codex Mendoza war es noch nicht so weit. Und so fehlt hier fast jeder Hinweis auf Religion oder Ritus.

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