»Literatura de la Onda«: José Agustín

In Mexiko der 1960er Jahre schrieben einige der jungen Schriftsteller über ihr Umfeld. Sie erzählten vom Aufwachsen mit traditionellen Mitteln, verwendeten umgangssprachliche Ausdrücke und bezogen sich dabei auf das Unmittelbare und Konkrete: Orte, Fakten, Menschen, Bräuche, Moden oder bestimmte Persönlichkeiten. Einige von ihnen bezogen auch Referenzen oder Hilfsmittel aus Kino, Rock, Fernsehen, Comics, Fantasie, Träumen, Visionen, Krimis und Science Fiction mit ein. Im Allgemeinen fand eine Wiedereingliederung in die mexikanische Populärkultur statt, auch wenn es lange dauerte, bis dies bemerkt wurde, da es zunächst als Entnationalisierung oder Transkulturalisierung angesehen wurde.

Bild: José Antonio López

Zwischen 1964 und 1973 schrieben sie über die Suche nach Identität, die Entdeckung der Liebe und des Körpers, die Kluft zwischen den Generationen und den Konflikt zwischen Individualität und Gesellschaft oder Politik und Religion, aber auch über Drogen, Guerillakrieg, Kommunen und pseudo-religiöse Spiritualität. Wie von jungen Menschen nicht anders zu erwarten, wurde auch die Erotik erforscht. Letztendlich waren dies die ersten Bekundungen einer Kulturrevolution und der Beginn einer umfassenden Entmystifizierung und Wiederbelebung der Kultur in Mexiko. Der Jugendroman leitete nicht nur den Einstieg in die Postmoderne ein, sondern definierte auch den Geist der neuen Zeit.

Einer der Protagonisten dieser Jugendliteratur war José Agustín (La tumba, 1964; De perfil, 1966; Inventando que sueño, 1968), zusammen mit Gustavo Sainz (Gazapo, 1965) und Parménides García Saldaña (Pasto verde, 1968; El rey criollo, 1970), und Ende der sechziger Jahre hatten bereits mehrere Schriftsteller, die noch nicht einmal ihr dreißigstes Lebensjahr erreicht hatten (wie Juan Tovar, René Avilés Fabila, Gerardo de la Torre, Héctor Manjarrez, Jorge Arturo Ojeda und Federico Arana), Bücher veröffentlicht, wenn auch nicht unbedingt zu Jugendthemen. Auch wurde 1966 die Reihe der Autobiographien „Nuevos escritores mexicanos presentados por si mismos“ für bereits berühmte, aber noch nicht einmal fünfunddreißigjährige Autoren ins Leben gerufen (Salvador Elizondo, Juan García Ponce, Juan Vicente Melo, Sergio Pitol, Carlos Monsiváis, Fernando del Paso, Vicente Leñero, Gustavo Sainz und eben auch José Agustín, der seine Autobiographie im Alter von zweiundzwanzig Jahren veröffentlichte).

In Mexiko wusste man nicht, wie man diese Literatur einordnen sollte, die später als »Literatura de la Onda« bekannt werden sollte. José Luis Martínez vertrat die Ansicht, dass in Mexiko eine neue Sensibilität, d. h. ein neuer Geist, entstanden sei. Emmanuel Carballo hob die Rebellion, den Bildersturm und die Respektlosigkeit hervor und sagte, dass „zwischen Witzen und Lachen explosive Anklagen gegen die respektabelsten Institutionen erhoben werden: die Familie, die Religion, die Wirtschaft und die Politik“. Der Kritiker an der Universität von Kansas, John Brushwood, vertrat seinerseits die Ansicht, dass im Fall von José Agustín Tradition und Rebellion nebeneinander bestehen, da er sowohl experimentiere und Formen erfinde, als auch klassische oder traditionelle Mittel verwende. Es war ein Phänomen der Kontinuität und des Bruchs.

Salvador Novo, Rosario Castellanos, José Revueltas, Carlos Fuentes, Elena Poniatowska und José Emilio Pacheco befürworteten die Bücher über junge Menschen. Und auch Carlos Monsiváis war zunächst begeistert und ordnete das Phänomen in eine starke Strömung der „antisolemnidad“ ein, die der mexikanischen Kultur die Starrheit nahm, die sie so sehr vermissen ließ, doch später sprach er von Mimikry, Denationalisierung („die ersten in Mexiko geborenen Gringos“) und politischer Unsensibilität. Juan Rulfo war entsetzt und beschuldigte Gustavo Sainz, Vicente Leñero und José Agustín, wilde Tiere zu sein, und verkündete, dass die mexikanische Literatur durch die von Fernando del Paso, Juan García Ponce und Salvador Elizondo gebildete Schutzmauer gerettet werden würde. Es wurde bekannt, dass Rulfo sowohl Gustavo Sainz als auch José Agustín ablehnte, aber nie wurde wirklich klar, warum er es an Vicente Leñero ausließ: vielleicht nur, weil er der Freund von Sainz und Agustín war und diese „die schlechten Gefährten“ waren. Héctor Aguilar Camín und Enrique Krauze, die im gleichen Alter wie Sainz und Agustín waren, sagten mit einer wunderbaren Hellsichtigkeit, dass es sich um eine „Plebejisierung der Kultur“ handelte. Carlos Fuentes änderte 1969 seine Meinung und sagte, dass diese Werke nicht übersetzbar seien, hielt sich aber bedeckt, nachdem hervorragende Übersetzungen von schwierigen Werken von Sainz und Agustín in anderen Sprachen erschienen. Huberto Batis seinerseits sagte 1966, dass der Roman De perfil von José Agustín im Jahr 1970 unlesbar sei.

Zu der so genannten »Literatura de la Onda« ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre lohnt sich die Lektüre des Sammelbandes von Margo Glantz (Onda y escritura en México, 1971). Auf den Begriff der »Onda« weist Glantz bereits im Vorwort zum Sammelband Narrativa joven de México (1969) hin. José Agustín, der bekannteste Autor der »Literatura de la Onda«, hat immer wieder seine Ablehnung des Begriffs wiederholt. Dieser sei ein einfaches Etikett, um ein viel komplexeres Phänomen zu umschreiben und führe zu nichts als Verwirrung. Niemand hätte sich darauf einigen können, was sie war, außer in der taktischen Disqualifizierung; und die Diskrepanzen zwischen Kritikern wie Margo Glantz, John Brushwood, Carlos Monsiváis oder Adolfo Castañón sind berüchtigt. Im Gegensatz dazu haben später andere Forscher den Begriff »Literatura de la Onda« aus einer kritischen Perspektive verwendet, wie John Bruce-Novoa, Raquel Lloreda, Alba Lara, Inke Gunia oder Narciso Yépez, die viel erhellendere und unvoreingenommenere Arbeiten vorgelegt haben. José Agustín erwähnt, dass Margo Glantz 1993 öffentlich zugab, dass ihre Formulierung der »Onda« ein Fehler gewesen sei und sich bei ihm entschuldigt habe. Er starb am 16. Januar 2024 und wurde 79 Jahre alt.