Pierre Charbonnier entwirft in »Überfluss und Freiheit« die erste philosophische Ideengeschichte zum Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Die ökologische Krise der Gegenwart sieht er als Chance, sozial und politisch umzudenken und als Gesellschaft neue Wege zu gehen. Dabei setzt Charbonnier auf eine radikal andere Politik, die nicht notwendig mit Verzicht verbunden ist. Ihm geht es um eine ökologische Ideengeschichte, die schon lange vor der Geschichte des Umweltbewusstseins beginnt. Dazu unternimmt er einen spannenden Gang durch die Denklandschaften der letzten fast 400 Jahre: von Hugo Grotius und John Locke über Adam Smith, Alexis de Tocqueville, Pierre-Joseph Proudhon, Karl Marx und Émile Durkheim bis zu Thorstein Veblen und Karl Polanyi. Und zeitg damit: Die Erde wird seit dem 17. Jahrhundert als unerschöpfliche Quelle von Wohlstand und Wachstum gesehen. Alle seither entwickelten politischen Ideen beruhen darauf, vor allem die zentralen Begriffe von Freiheit und Gleichheit, von Autonomie und von Wachstum bzw. Überfluss. Doch das ist eine fatale Sicht auf das Verhältnis von Mensch und Natur.
«Es gibt nichts, was materieller ist als die Freiheit, insbesondere die Freiheit der modernen Gesellschaften, die mit den Produktionskapazitäten der Erde und der Arbeit einen Pakt geschlossen haben, der nun brüchig wird.» Weil der moderne Freiheitserwerb auf eine «Reihe von Überbeanspruchungen der Umwelt» gebaut ist, droht mit der Überhitzung des Klimas nun die maximale Unfreiheit: die Zerstörung der eigenen Existenzgrundlage. Pierre Charbonnier schliesst seine ökologische Ideengeschichte mit der Hoffnung auf «ein neuartiges kritisches kollektives Subjekt», das «die Entwicklung einer Postwachstumsdemokratie» vorantreibt, auch wenn seine Vision einer Postwachstumsgesellschaft in seinem Buch konzeptuell unterbestimmt bleibt. Die grosse Stärke liegt deshalb auch ganz woanders: in einer präzisen Vermessung der akuten Probleme, die den Stand der Reflexion auf ein neues Level hebt. Seine Analysen sind hochgradig instruktiv für die kollektiven Anstrengungen, die Klimakrise zu bewältigen – nicht zuletzt dadurch, dass sie unser Verständnis der zentralen Problematiken neu und präziser justieren. Die Ideen von Freiheit und Gleichheit, schreibt Charbonnier, waren historisch immer auch ein «Versprechen vom Ende der Armut». Und Armut ist innerhalb «einer Ökonomie des Überflusses» nur «noch skandalöser». Es bleibt zu hoffen, dass die Länder des Globalen Südens nicht den gleichen Weg einschlagen wie die Instustrienationen. Für die Länder des Globalen Südens könnte dies bedeuten: auf der Verantwortung der Industrienationen beharren, ohne darauf zu bestehen, den westlichen Weg der fossilen Wohlstandsgewinnung zu wiederholen.