Außenansicht

Bild: Ever Arrascue Arévalo

Im Winter sieht man die Menschen nur sehr wenig auf den Straßen. Diejenigen, die sich abends zu den Aufführungen des Aalto-Theaters und der Philharmonie auf den Weg machen, und diejenigen, die im Sheraton Hotel übernachten, sind immer ganz in Eile. Die Mäntel, die Handschuhe, die Hüte und die Schals, die sie tragen, geben ihnen ein gespenstisches Aussehen. Ihre Blicke wirken verloren. Als Zeichen der Liebe gehen viele Paare Hand in Hand. Dennoch sehen sie blass aus, ihre Nasen rot, und sie wirken gestresst und irgendwie bitter. Diejenigen, denen es an Gesellschaft mangelt, scheinen am Rande eines Zusammenbruchs zu stehen. Inmitten einer solchen Atmosphäre hören die Kirchen, dunkle Überbleibsel einer bedrückenden, hinterbliebenen Vergangenheit, nie auf, nach ihren Schafen zu rufen. Das kirchliche Glaubensbekenntnis, immer bereit, zu diktieren und zu sanktionieren, wird aufrecht erhalten. Ihre Schafe, ernst bis ins Mark, ähneln in ihrer Verrückung den Kadavern der kommenden Morgendämmerung. Sie sind davon überzeugt, dass Gott, etwas absolut Abstraktes, die Welt erschaffen hat und an sich Liebe ist. Da sie der Liebe und einer gewissen Mystik bedürfen, ringen sie danach, sich mit Tugenden zu schmücken, die sie zumindest ihrer Gottheit ähneln lassen. Sehr üblich in Deutschland.

Wenn ihr geheimer Ehrgeiz nicht danach streben würde, der Anführer zu sein, der in der Lage ist, die Welt hinter sich herzuziehen, könnte man sagen, dass sie in ihrer eigenen Abstraktion ihrem Gott ähneln. Ihre Priester, noch deutlicher, ein bisschen wie ein Spiegel ihrer Gesellschaft, verwechseln sich manchmal mit einem Kreuz und manchmal mit einem Schwert. Schwierig, sie sich getrennt von beiden vorzustellen. Die Geistlichen ihrer Armeen rechtfertigen weiterhin ihre eigenen Kreuzzüge. Sie geben niemals auf, Bedingungen zu diktieren oder aufzuerlegen, unter denen die anderen, wenn sie denn als Menschen angesehen werden wollen, ihr Dogma und ihre Ideologie übernehmen müssen. Sie leben in der Überzeugung, dass die Anderen in ihre besondere Art des Seins integriert werden müssen und nicht sie selbst in die Art des Seins der anderen. Zur Mittagszeit rufen sie Jesus Christus an und erklären ihn zu ihrem Gast. Seine Funktion sollte jedoch nicht die eines Gastfreundes sein, sondern lediglich darin bestehen, ihre Getränke und Speisen, und nur diese, zu segnen. Komm und segne!, laden sie ihn ein. Wenn Jesus sie wirklich hören und sich ihnen persönlich vorstellen käme, würden sie wie bei einem Angreifer einen Schrei ausstoßen, die Polizei rufen und ihn festnehmen und mit der gewohnten Strenge verhören lassen. Zweifellos würden sie von ihm verlangen, dass er mit einem von einer deutschen Behörde, gleichbedeutend mit ausschließlicher Legitimität, abgestempelten Dokument nachweist, dass er derjenige Sohn ist, der in der Antike aus dem Schoß einer Jungfrau geboren wurde. Gleichzeitig würden sie sein Visum unter die Lupe nehmen und ihn selbst einem Lügendetektortest unterziehen, und ihm am Ende, wenn sie immer noch Zweifel hätten, eine Option einräumen: sich selbst als politisch Verfolgten zu erklären. Wenn er dies akzeptieren sollte, würde man ihn in einer Art Lager, genannt Sammellager für Flüchtlinge, einsperren, mit der ausdrücklichen Auflage, sich nicht weiter als ein Dutzend Quadratkilometer im Umkreis zu bewegen. Um ihn zu langweilen und zu versuchen, eine freiwillige Rückkehr in das Land, aus dem er nach Deutschland gekommen ist, durchzusetzen, und ohne darauf zu verzichten, ihn auf den Millimeter genau zu beobachten, würden sie ihn mit Brot und Wasser füttern.

Und was wäre, wenn Jesus Christus ihnen gegenüber seine Echtheit beweisen würde? In diesem Fall würden sie ihn anweisen, sich beim nächsten Mal mindestens drei Monate vor seinem Besuch bei ihnen anzumelden. Nach seiner Freilassung würden sie ihn erneut verhaften und ihn fragen, ob er ihre Forderungen verstanden und assimiliert habe. Währenddessen, ihn wieder aus einer mechanischen Handlung heraus beschwörend, würden sie weiter essen, bis sie ihre Teller so zurückließen, wie sie bleiben, nachdem sie abgeleckt wurden. Seltsame Schafe! Brummig, haben ihre Charaktere in der Tat mehr von einem Wolf als von einem Schaf. Nichts von all dem bedeutet, dass es in ihrer Gesellschaft nicht auch gute Menschen gibt. Zunächst bleiben sich diejenigen treu, die sich wie Schafe verhalten, und vermeiden es, sich auf der Straße zu begrüßen. Innerhalb und außerhalb des Gotteshauses misstrauen sie sich gegenseitig. Sie leben in der Überzeugung, dass, wenn Gott für alle existiert, jeder Einzelne nur für sich selbst existieren sollte, so wie es bereits geschieht. Während sie in ihren Göttlichen Gemeinschaftshäusern bleiben, bringt ihnen ein gewisser Instinkt die Bedingungen als Gruppenwesen zurück, etwas, das sich später in ihren Gehirnen in dem Rhythmus auflöst, in dem sich auch die Messe und die Predigten in ihren Erinnerungen auflösen. Sobald sie in ihren Häusern Zuflucht gesucht haben, sind sie wieder das, was sie waren: Menschen, die sich einer absurden Isolation hingeben und sich so weit wie möglich noch mehr meiden und ignorieren. Aus den Bekenntnissen des einen oder der anderen heraus kann man lernen, dass von denen, die gewöhnlich ihre Telefonnummer austauschen, nur wenige den nächsten Schritt tun: sich gegenseitig anzurufen. Wenn sie es dennoch tun, fragen sie als erstes: “Störe ich?” Zwischen ein Uhr und drei Uhr nachmittags anzurufen, wäre ein Verbrechen. Dies sind die ersten Stunden einer ersten Pause! Nachdem sie sich ausgeruht und ihre Energien wieder belebt haben, arbeiten sie; nach sieben Uhr abends sollte wieder niemand ihre notwendige Ruhe unterbrechen. Ab dieser Stunde verwirklichen sie ihre individuelle Freiheit. Vor dem Fernseher, einem Medium der Kommunikation und Meister in der Ausführung einer raffinierten und nicht wahrnehmbaren «verantwortungsvollen» und «demokratischen» Zensur, lässt sich die Mehrheit davon überzeugen, dass Deutschland hundertprozentig ein einzigartiges, ideales, friedliches, anständiges, korrektes und rechtsstaatliches Land ist. Ihre wichtigsten Führungspersönlichkeiten sollten als Prototypen betrachtet werden. Manchmal erscheinen sie in Wahrheit aber eher wie Denkmäler als wie Menschen. Der Genuss von ein paar kalten Bieren nährt und verstärkt einen solchen Mythos noch. Selbstgefällig, spielt sich ihr Leben unvorstellbar am Rand eines scheinbaren Wettstreits der Ehrlichkeit und einer ständigen Wachsamkeit gegenüber denjenigen ab, die verdächtig scheinen, nicht ehrlich zu sein. Als Meister der vermeintlichen Integrität ist ihre Welt an die Versicherungen gebunden. Ergo verleugnet die Diebstahl-Versicherung ihr selbst zugeschriebenes ideales Land: Wenn sie ihre Häuser verlassen, hören sie nicht auf, diese von innen in eine Barrikade zu verwandeln, indem sie ihre Türen verschließen und dazu die Schlüssel so oft wie möglich im Schloss umdrehen.

Ihre Gespräche erlauben nur selten einen Witz. Reich an Klagen, Sticheleien, Ironien und Gejammer, leugnen die sensibelsten und unsichersten, typische Deutsche zu sein. Eines Tages legte ich Fritz, einem Freund von mir, die Bemerkungen dar, die ich gerade gemacht habe, und fragte ihn, woraus der zu bewertende Charakter eines typischen Deutscher bestehen würde. Ohne zu zögern antwortete mein Freund Fritz: “Typische Deutsche sind die, die Du gerade beschrieben hast. Und noch typischer sind die Deutschen, die leugnen, typisch Deutsch zu sein. Außerhalb Deutschlands versuchen beide Spezies, sich gegenseitig zu meiden. Innerhalb verwandelt sowohl der eine wie auch der andere sein Zimmer in einen Zufluchtsort, an dem die einfachen Deutschen jedweden Lärm aus ihrer Nachbarschaft verfluchen. Bei einem kalten Bier versucht jeder, sich mit irgendeinem Film über irgend ein Verbrechen zu entspannen. Je mehr Intrigen, Tricks und Tote diese Filme zeigen, desto besser können sie sich entspannen, schlafen und ihre Kräfte erneuern, um sie am nächsten Tag vollumfänglich und pünktlich, den Forderungen ihrer Chefs nach Mehrwert übergeben zu können.

Die Misstrauischsten verteidigen eine Art Kultur des Handbuchs: Mit einer etwas väterlichen und kolonialistischen Leidenschaft fordern sie, dass Ausländer sich in ihre eiserne und langweilige Art des Seins integrieren. Wegen dieser unvermeidlichen Dinge im Leben gibt es Ausländer, die sich in unser Verhalten assimilieren und sich in der Praxis als deutscher erweisen als die Deutschen selbst. Sie und ihre Prototypen werden nicht müde, immer wieder zu beobachten, zu betonen und anzuregen, dass diejenigen, die sich nicht in die deutsche Lebensweise integrieren, außerhalb der westlichen guten Sitten und Werte leben. Selbstzufrieden sehen sie das Eigene als einzigartig, ideal und vollkommen an. Nur diejenigen Ausländer, die ihnen ihre Arbeitskraft mit Freundlichkeit und Freude verkaufen, werden in der Regel als gute Kandidaten für eine erfolgreiche Integration eingestuft. Kurz gesagt, die Freundlichkeit und die gleiche Freude, die unserem sozialen Umfeld fremd sind, sind Phänomene positiver Exotik, die von den flexibelsten und solidarischsten toleriert werden. Die Härtesten schweigen, und die Extremisten akzeptieren sie nie!”.

Zu einem solch gnadenlosen Bekenntnis von seiner Seite fügte ich hinzu, dass es nach einer Ahnung von mir auch gleichgültige Deutsche gibt. Fritz antwortete: “Gleichgültig, wenn auch nicht ganz so, sind diejenigen, die sich in ihre Wohnungen flüchten, um andere durch ihre Fenster zu beobachten. Wenn die Beobachteten allerdings sie dabei erwischen, wie sie ihnen nachspionieren, tun sie so, als würden sie ihre Vorhänge zuziehen, ihre Fenster putzen und sogar ihre Fenster öffnen wollten, um etwas frische Luft zu schnappen. Neben den Gleichgültigen gibt es noch die anderen, die pedantischen, die damit beschäftigt sind, darauf zu achten, wer falsch parkt, wer ein potenzieller Kandidat sein könnte, ihre Autos zu ruinieren, jene geliebten und fast personifizierten Gegenstände; wer welchen Müll in die verschiedenfarbigen Mülltonnen entweder vor, wenn nicht hinter ihren Häusern, deponiert. Wenn sie jemanden erwischen, der mit seinen Abfällen eine für andere Abfälle bestimmte Tonne benutzt, melden sie dies der Polizei. Eine ihrer größten Befriedigungen besteht darin, dem Geheimdienst mitzuteilen, welche Art von Fleisch von welchen Nachbarn verzehrt wird. Vor allem, wenn diese Ausländer sind. Zu ihrer Unterstützung sagte mir ein Priester, dass es, wenn damit Terrorakte verhindert werden können, rechtmäßig ist, sogar die Beichte gegen sie zu verwenden. Wer sich also für Gott hält, lebt ein bisschen mit dem Befehlston wie in einer Kaserne und ein bisschen wie in einem Supermarkt. Wir begreifen unsere Staatsgewalt als Ausdruck und Vertretung des göttlichen Willens. Letzteres prangert sie nicht weit entfernt von den Vorstellungen an, die sich die Untertanen der meisten Kolonialmächte zu eigen machten. Die Einen forderten und die Anderen fordern leider noch immer, eine Art überlegene Zivilisation zu sein. Ich frage mich, worin die Überlegenheit des Ausschließlichen besteht. Wenn unsere politischen Vertreter von der Staatengemeinschaft sprechen, meinen sie nicht die Gemeinschaft der Staaten dieser Welt, sondern den Kreis der heute ‘anständigen’ Ex-Kolonialisten, oder besser der dekadenten Neo-Kolonialisten. Glauben Sie mir, bei einem Großteil von uns herrscht nicht die Mentalität des Bürgers, sondern die des Untertans. Wir sind Nachkommen unserer Könige und Königinnen — dort, wo es sie noch gibt — mit dem Klerus, unserer Regierungen mit ihren Armeen, und vor den Märkten und seinen Besitzern sind wir nur Kunden, Soldaten und gläubige Schafe. Im Dienste all derer, nehmen wir jeden Stress, jedes Risiko und schließlich die überwältigendste Einsamkeit auf uns. Dem Individualismus unterworfen, bedürfen wir der Spezialisten für die Behandlung unserer Seelen: Psychologen, Psychiater und Therapeuten. Was sind die Rezepte, die wir anwenden? Entspannung, Meditation und Ruhe! Lachen? Nur diejenigen, die einen hohen wirtschaftlichen Stand und etwas Macht haben! Darüber hinaus diejenigen, die eine Zirkusvorstellung, eine Disco, ein Kabarett besuchen und diejenigen, die für die Presse und Zeitschriften fotografiert werden. Wer sich die Seiten der Medien anschaut und die dort enthaltenen Fotos, wird davon überzeugt sein, dass Deutschland dasjenige Land in der Welt ist, in dem am meisten gelacht wird. In jedem Fall geht es um eine Entspannung, eine Freude und eine Freiheit, die vom Markt gelenkt und reguliert wird. Der Markt, so die Philosophie seiner Befürworter, ist die Institution, der die Menschen mit Leidenschaft dienen müssen. Geboren zu werden, aufzuwachsen und zu leben, um ihm all unsere Kraft, all unsere Initiativen und unseren Geist zur Verfügung zu stellen, ist in Deutschland ein Lebensideal. Das Konsumverhalten ist ein weiteres seiner entscheidenden und letzten Ideale. Korrektur? Anstand? Gerechtigkeit? Vielmehr eine Verwechslung von Ehrlichkeit mit privatem Vorteil und eine Verwechslung der Freiheit mit einem plumpen Individualismus. Folglich: Es gibt immer welche, die im Tausch gegen persönliche Vorteile bereit sind, ihren Körper und ihre Seele an den Teufel selbst zu verkaufen.”

“Gibt es denn keine Ausnahmen?”, fragte ich. Fritz hustete und erklärte: “Ausnahmen, mein Freund, auch wenn es sie gibt, sind anarchisch. Wenn man sie zusammenbringt, halten sich einige für etwas besseres als die anderen. Wenn wir auf wissenschaftlichem, künstlerischem, philosophischem und literarischem Gebiet ein Reichtum und eine Großmacht sind, sind wir auf sozialem Gebiet Elend und Traurigkeit an sich. Aber ja doch! Individualismus ist die Verleugnung all dessen, was gemeinschaftlich ist, und die vorherrschende begriffliche Überzeugung, dass Zeit Geld und Gold ist, schmälert jede Freiheit und verleugnet gleichzeitig jeglichen demokratischen Geist!”

Auszug aus dem Buch El hombre de Rupak Tanta.
Mit freundlicher Genehmigung von Melacio Castro Mendoza.