Bilanzbericht zur Aufarbeitung der Verbrechen der „Colonia Dignidad“

Bild: Archivo Nacional de Chile

Der von der Gemeinsamen Kommission von Deutschem Bundestag und Bundesregierung zur Aufarbeitung der Verbrechen der „Colonia Dignidad“ erarbeitete Bilanzbericht wurde am Freitag (17.09.2021) veröffentlicht. Dieser stellt die Tätigkeit der Gemeinsamen Kommission seit ihrer Konstituierung im Oktober 2018 bis Juni 2021 dar und gibt einen Ausblick auf die
weiterzuführenden Aufgaben, auch über die laufende Legislaturperiode hinaus.

In der “Colonia Dignidad”, rund 350 km südlich der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile, wurden über Jahrzehnte hinweg systematisch schwerste Menschenrechtsverletzungen durch die vom Deutschen Paul Schäfer gegründete Sekte, während der Militärdiktatur Augusto Pinochets (1973 –1990) zum Teil zusammen mit dem chilenischen Geheimdienst
Dirección Nacional de Inteligencia (DINA), begangen. Im Mai 2019 stellte die Gemeinsame Kommission ein Hilfskonzept für die Opfer der „Colonia Dignidad“ vor. Über einen Hilfsfonds werden seit Januar 2020 Individualleistungen in einem Zwei-Säulen-Modell an die Opfer der „Colonia Dignidad“ ausgezahlt, die bis heute unter den Folgen der an ihnen verübten Verbrechen leiden. Die Hilfsleistungen und die weitere Unterstützung der Opfer werden auch in Zukunft fortgesetzt und von der Gemeinsamen Kommission auch über diese Legislaturperiode hinaus begleitet werden.

Am 29. Juni 2017 nahm der Deutsche Bundestag einstimmig den Entschließungsantrag zur „Aufarbeitung der Verbrechen in der Colonia Dignidad“ (Bundestagsdrucksache 18/12943) an, der die Bundesregierung dazu auffordert, in enger Zusammenarbeit mit dem chilenischen Staat, sowohl die historische und juristische Aufarbeitung als auch die Klärung der Besitzverhältnisse der „Colonia Dignidad“/“Villa Baviera“ (CD/VB) voranzutreiben. Der Bundestagsbeschluss von 2017 sieht vor, dass eine im Wege der deutsch-chilenischen Zusammenarbeit gemeinsam einzusetzende Expertenkommission eine Erhebung des Sachstandes durchführen und Vorschläge für die Umsetzung konkreter Aufarbeitungsmaßnahmen erarbeiten sollte. Dabei sollte auch auf die verschiedenen Opfergruppen Bezug genommen werden. Dies sind insbesondere die Opfer unter den Bewohnern der „Colonia Dignidad“, die seit den 1960er Jahren unter Ausbeutung, schwerster sexueller Gewalt, Sklavenarbeit, physischer und psychischer Misshandlung gelitten haben; sowie diejenigen Chilenen, die in der „Colonia Dignidad“ seit 1973 Opfer von Folter, Mord und gewaltsamem Verschwinden durch den chilenischen Geheimdienst DINA und durch Beihilfe von Angehörigen der Sekte geworden sind; und schließlich chilenische zwangsadoptierte Kinder aus der räumlichen Umgebung der „Colonia Dignidad“ sowie die Kinder, die in den 1990er Jahren dort sexuell missbraucht worden sind.

Der Bundestag und die Bundesregierung setzen sich ebenso für die Errichtung einer Gedenkstätte und eines Dokumentationszentrums ein. Diese sollen der Aufarbeitung der Vergangenheit in der „Colonia Dignidad“ dienen und eine würdige Gedenkkultur ermöglichen. Bundestag und Bundesregierung sind davon überzeugt, dass die Errichtung der Gedenkstätte sowohl für die historische Aufarbeitung der Verbrechen der und in der „Colonia Dignidad“, als auch für die persönliche Aufarbeitung der Betroffenen und die notwendige Demokratisierung innerhalb der ehemaligen Sekte notwendig ist. Zu diesem Zweck unterstützt die Bundesregierung die Freie Universität Berlin bei der Durchführung eines „Oral History-Projekt“, das zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Verbrechen der „Colonia Dignidad“ beitragen soll.

Deutsche Regierungsvertreter spielten oft eine unrühmliche Rolle, als ihre Standhaftigkeit, Beharrlichkeit und ihr nachdrücklicher Einsatz für die Menschen in der „Colonia Dignidad“ gefordert gewesen wären. Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier bekannte sich stellvertretend für das gesamte Auswärtige Amt im April 2016 öffentlich dazu, dass deutsche Diplomanten eindeutig zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute in dieser Kolonie getan hätten. Das Amt sei „nicht daran schuld, dass es in Chile einen Militärputsch und 17 Jahre Militärdiktatur gab. Es trägt auch keine Verantwortung für das Unwesen (in der Kolonie).“ Aber es hätte „entschiedener ‚Deutschen nach pflichtgemäßem Ermessen Rat und Beistand gewähren‘ müssen.“