Seit 2014 arbeitet ein interdisziplinäres Team mit verschiedenen Betroffenengruppen der Colonia Dignidad an der Frage, wie die Vergangenheit am historischen Ort thematisiert werden sollte (vgl. hierzu die Bestandsaufnahme partizipativ erinnern). 2016 stellte die chilenische Regierung einen Teil der Siedlung unter Denkmalschutz, im Jahr darauf gründete sich eine Gemeinsame Kommission aus Vertretern der chilenischen und der deutschen Regierung, die zwei chilenische und zwei deutsche ExpertInnen mit der Entwicklung eines Gedenkstättenkonzepts beauftragte. Das Gelände wurde nach der Festnahme des Anführers der Colonia Dignidad, Paul Schäfer, im Jahr 2005 mit Unterstützung der Bundesregierung über die GIZ in ein Freizeit- und Tourismuszentrum umgewandelt, in dem Hochzeiten und deutsch-folkloristische Feste gefeiert werden. Die Diskussion über diese Nutzung des Geländes ist Teil des Prozesses um eine zukünftige Gedenkstätte in der ehemaligen deutschen Siedlung (ebda., S. 76).
Der Tod von Paul Schäfer im Jahr 2010 rückte das Thema der Colonia Dignidad einmal mehr in den politischen, juristischen und öffentlichen Fokus. Im Jahr 2013 gedachte Chile dem 40. Jahrestag des Putsches vom 11. September 1973, was zu einer Intensivierung der Debatten um die Erinnerung führte. In diesem Kontext fanden eine Reihe von Aktionen gegen die Straflosigkeit der Colonia Dignidad-Verbrechen und gegen die touristische Nutzung der ehemaligen Colonia Dignidad (heute Villa Baviera) statt. Dieses Szenario von Forderungen an die Regierungen in Deutschland und Chile führte einerseits zu einem Ende der Unterstützung der Bundesregierung für das Firmenholding der ehemaligen Kolonie. Andererseits bewilligte 2014 das Auswärtige Amt erstmals einen Antrag, um in der chilenischen Hauptstadt Santiago ein Seminar zur Colonia Dignidad sowie eine Reihe von Workshops mit Betroffenengruppen durchzuführen (ebda., S. 77).
Die gegenwärtige Nutzung dieses Ortes und die Vielfalt der Perspektiven und Forderungen der betroffenen Gruppen haben dazu geführt, dass Dialog, Partizipation und Transparenz zu den Grundpfeilern der verschiedenen Arbeitsmethoden eines interdisziplinären Teams wurden. Langsam wurde es möglich, Brücken der Kommunikation zwischen Menschen und Gruppen zu bauen, die zu Beginn des Prozesses diametral entgegengesetzte Positionen vertraten und die oftmals nie zuvor zu einem Gespräch eingeladen worden waren. Am Ende der Aktivitäten 2014 wurde deutlich, dass seitens der Angehörigen der Verschwundenen und der ehemaligen politischen Gefangenen eine Beendigung der touristischen Nutzung des historischen Ortes vehement eingefordert wurde. Die derzeitigen BewohnerInnen der Villa Baviera vertraten hingegen die Ansicht, dass der Tourismus, neben seiner Funktion als Einnahmequelle, eine Möglichkeit zur Integration und Öffnung der heutigen Siedlung in die chilenische Gesellschaft darstelle (ebda., S. 78).
Seit 2014 konnten auf der Grundlage von Vertrauen innerhalb und gegenüber dem Team Verständnis und Anerkennung zwischen höchst unterschiedlichen Betroffenengruppen aufgebaut werden und mit viel Engagement ein in seinen historischen, politischen, rechtlichen und psychologischen Dimensionen äußerst komplexer Prozess kontinuierlich vorangetrieben werden. Nach acht Jahren gibt es jedoch immer noch keine handelnden Schritte beider Regierungen, um die Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte am historischen Ort umzusetzen. Im Laufe dieser Zeit haben die Regierungen in beiden Ländern gewechselt und trotz der auf dem Papier progressiveren Vorzeichen gibt es noch keine Antwort auf den Konzeptvorschlag der vier von beiden Seiten ernannten ExpertInnen, noch keine Geschäftsstelle und keine konkreten Überlegungen zur Trägerschaft. Somit ist der gesamte Prozess an einem Punkt angelangt, an dem es Entscheidungen von Regierungsseite braucht, um voranzuschreiten (ebda., S. 81). Der Besuch von Bundeskanzler Scholz in dem “Museo de la Memoria y los Derechos Humanos” in Santiago de Chile könnte wieder neuen Schwung in die Frage um eine Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad bringen.