Spanischer Kolonialismus, der nicht endet

Arantxa Tirado Sánchez ist Politikwissenschaftlerin mit einem Doktortitel in Internationalen Beziehungen der Universidad Autónoma de Barcelona und einem Doktortitel in Lateinamerikastudien der Universidad Nacional Autónoma de México. In einem Beitrag, veröffentlich in La Jornada, nimmt sie Stellung zu den Beziehungen zwischen Spanien und Mexiko und wie die neoliberalen Regierungen der Parteien der Institutionellen Revolution (Partido Revolucionario Institucional, PRI) und der Nationalen Aktion (Partido Acción Nacional, PAN) strategische Sektoren zu Schnäppchenpreisen in die Hände spanischer Investoren gegeben haben. Nach ihr führten die sprichwörtliche Kombination aus Korruption und malinchismo (die Zuneigung allem Fremden gegenüber bei gleichzeitiger Geringschätzung des Eigenen) zu den allseits bekannten Ergebnissen: Die Bevölkerung Mexikos, die zunehmend verarmt, ausgebeutet und mit Hungerlöhnen abgespeist wird, wurde ignoriert und ihrer eigenen Ressourcen beraubt. Das Land, das durch das alte Nordamerikanische Freihandelsabkommen (engl. North American Free Trade Agreement, NAFTA) an die Interessen der USA gebunden ist, hat keine Hoheit über die Energie mehr und ist nur noch mit wichtigen Fragen wie der Sicherheit beschäftigt.

Spanien hingegen ist der wichtigste Investor und Handelspartner der Europäischen Union (EU) in Lateinamerika und der Karibik. Jeder dritte Euro, der von spanischen Unternehmen investiert wird, fließt in diese „Vorzugsregion“, in der die Eliten der iberischen Halbinsel dank der Duldung der lokalen politischen Macht, die ihnen die privilegierten Türen ihrer Wirtschaft geöffnet hat, ein günstiges Terrain für die Expansion ihrer Unternehmen gefunden haben. In diesem Szenario gelang es einigen der großen spanischen Unternehmen, mit politischer Vetternwirtschaft in den mexikanischen Markt einzudringen. Präsidenten, Staatsoberhäupter und eine Diplomatie, die sich auf die aktive Verteidigung der spanischen Geschäftsinteressen in Mexiko konzentrierte, waren erfolgreich bei der Positionierung dieser Unternehmen in strategischen Bereichen der mexikanischen Wirtschaft. Dies ist völlig legitim, würden Befürworter der freien Marktwirtschaft sagen. Wenn die Geschäfte jedoch über politische Verbindungen und Vorteilsnahme abgewickelt werden, und Praktiken Anwendung finden, die der mexikanischen Wirtschaft schaden, kommt es zu einer Rückkehr zu der typischen Dynamik der Abhängigkeit zwischen Zentrum und Peripherie, und dann läuft man Gefahr, von denjenigen abgelehnt zu werden, die glauben, dass die Vergangenheit nicht so idyllisch war, wie sie von einer propagandistischen Geschichtsschreibung dargestellt wurde.

In Mexiko und Spanien gibt es widersprüchliche Auffassungen zu Themen wie der Eroberung oder der Rolle der spanischen Unternehmen. Sie sind weit entfernt von den gemeinsamen Erzählungen, nach denen sich die spanischen Behörden sehnen. Für sie sind das Image und das Prestige Spaniens eng mit dem seiner Unternehmen verbunden, deren Präsenz in Lateinamerika und der Karibik zu erhalten und zu stärken eine Priorität darstellt. Als handele es sich um eine Rückeroberung, jetzt allerdings über die Wirtschaft, setzt die spanische Regierung das nationale Interesse, von dem sich ihre Außenpolitik leiten lässt – und zwar unabhängig davon, wer regiert – mit der Verteidigung der Geschäfte ihrer Großunternehmen gleich. Die Gefahr, dass die „Marke Spanien“ mit den fragwürdigen Handlungen von Unternehmen in Verbindung gebracht wird, die wegen Missbrauch, Korruption oder Plünderung angeklagt sind, ist offensichtlich. Es ist falsch, das souveräne Handeln anderer Regierungen wie Mexiko als Angriff auf Spanien zu interpretieren. In den jüngsten Äußerungen des mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) findet sich nichts, was die Interessen der spanischen Bevölkerung bedroht, die von den Gewinnen dieser Unternehmen in keinster Weise profitiert.

Die Zeiten haben sich geändert. Die fortschrittlichen Regierungen Lateinamerikas und der Karibik, die in den letzten Jahrzehnten die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen, haben zu einem unbestreitbaren Verlust an Einfluss Spaniens geführt. Darüber hinaus haben viele Länder Gedenkveranstaltungen zur Erinnerung an ihre koloniale Vergangenheit durchgeführt und fordern Wiedergutmachung für die Opfer, wenn auch nur in symbolischen Gesten. Doch Spanien verweigert den geringsten Anflug von Selbstkritik und verharrt in Diskursen, die lächerliche imperiale Visionen reproduzieren, in der Verherrlichung einer Vergangenheit, die aus vermeintlich „zivilisatorischen“ Taten besteht.

Arantxa Tirado Sánchez schließt ihren Beitrag mit der Einschätzung, dass, solange die spanischen Eliten ihre Extraktionsgier nicht beenden und ihren Paternalismus nicht ablegen, solange sie nicht begreifen, dass die Völker des lateinamerikanischen Kontinents das Recht haben, souverän über ihre Ressourcen zu verfügen, es kein Ende der unerträglichen neokolonialen Haltung geben wird, die den gesamten medialen und politischen Diskurs über Lateinamerika und Karibik in Spanien durchdringt. Die spanische Diplomatie täte gut daran, ihre Rolle als Wirtschaftslobbyist aufzugeben, sich für eine Politik zu entscheiden, die sich nicht den wirtschaftlichen Interessen einer Minderheit unterordnet, und im Übrigen von der historischen mexikanischen Außenpolitik der Nichteinmischung zu lernen.